Donnerstag, 11. Juli 2019

Die Sterberegister von 1918

Meine Abende verbringe ich im Moment oft mit Sterbeeinträgen, und zwar mit denen aus dem 2. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts aus Werther. Soll heißen: Der Erste Weltkrieg ist in meinen Gedanken immer noch sehr präsent, vor allem, wenn ich sehe, wie und wo die Leute gestorben sind. 


Nehmen wir als Beispiel mal 1918. Für dieses letzte Kriegsjahr (wobei der Krieg ja "schon" am 11.11.1918 formell durch den Waffenstillstand von Compiègne formell beendet war) hat der Standesbeamte Hesse 165 Eintragungen vorgenommen. Nur zum Vergleich: Für das folgende Jahr, 1919, gibt es insgesamt nur 95 Einträge, und von denen gehören noch fünf zu Gefallenen, die erst später eingetragen wurden, weil ihr Tod 1918 noch nicht offiziell bestätigt war.

Es gibt also so einiges, das mir an diesem Jahrgang 1918 auffällt:

1. Wenn ich richtig gezählt habe, dann waren 52 der 165 Toten (also fast ein Drittel) Gefallene oder solche, die von fiesen Krankheiten in Lazaretten dahingerafft worden waren. Einer fiel auch in Münster aus dem Fenster (die genaueren Umstände dieses Fenstersturzes konnte ich allerdings noch nicht eruieren). Normalerweise werden in den Sterberegistern die Todesursachen zwar nicht genannt, aber bei manchen Soldaten machte Herr Hesse eine Ausnahme, so dass man einen gewissen Einblick bekommt.

2. Die Gefallenen werden immer jünger. Während ich in den ersten Kriegsjahren eher die "mittelalten" Soldaten gefunden habe, finde ich nun hauptsächlich die Achtzehn- bis Zweiundzwanzigjährigen. Ab und zu ist auch mal jemand dabei, der in seinen Dreißigern oder Anfang 40 ist, aber das ist eher die Ausnahme als die Regel. Dasselbe gilt für die Mitt- und Endzwanziger. Mir kommt dabei immer mehr der Gedanke, dass diese jungen Männer schlichtweg als Kanonenfutter verheizt worden sein müssen. Wofür nochmal?

3. Die meisten dieser Männer sind in Frankreich geblieben. Meine Geografie-Kenntnisse verbessern sich gerade ungemein. Trotzdem werde ich froh sein, wenn ich die Worte "Somme", "Aisne" und "Marne" nicht mehr ständig schreiben muss. Kein Wunder also, dass die Franzosen den Ersten Weltkrieg bis heute "La Grande Guerre" nennen.

4. Die "Heimatfront" macht nun auch schlapp, salopp gesprochen. Man merkt nicht nur, dass die Kindersterblichkeit wieder steigt, auch die Jugendlichen sterben in ungewöhnlich hohem Maße. Ich habe diverse "landwirtschaftliche Arbeiter" gefunden, die nicht älter als 16 oder 17 geworden sind, und auch die jungen Frauen in diesem Alter hatten ein erhöhtes Risiko, den Winter nicht mehr zu erleben.

Ich hätte auch nicht gedacht, dass man die Auswirkungen dieses Krieges in der Heimat so gut erkennen kann. Aber man kann es, wenn man nur etwas genauer hinguckt.  

Alles in allem macht mir das Eintragen dieser Kriegsjahrgänge mehr zu schaffen, als ich vorher gedacht hatte. Was einen einfach erschlägt ist die Gesamtheit dieses Elends, das einem aus den Sterberegistern förmlich anspringt. Die Amerikaner haben einen Ausdruck dafür: "heartbreaking", der mir die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gehen will. Im Deutschen würde man es wohl mit "herzzerreißend" übersetzen. 

Ja, das trifft es ziemlich gut.



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