Montag, 14. März 2022

"Schitomir" gab's auch in Werther

In den letzten Tagen wurde in den Nachrichten - aus gegebenem Anlass - oft der Name "Schytomyr" erwähnt. Bevor Russland in der Ukraine eingefallen ist, war es eine Universitätsstadt mit ungefähr 270.000 Einwohnern. Das hier zum Beispiel ist die Landwirtschaftliche Universität in Friedenszeiten, bei wikipedia geklaut: 

Ich saß also vor dem Fernseher und dachte, "Moment - irgendwo hast du das schon mal gehört..." Und dann fiel es mir ein: Als Werther noch "seine" Kleinbahn hatte, gab es nicht weit vom Haus meiner Familie, das ja zwischen Delius und dem Kippskrug lag, eine Haltestelle, die die Wertheraner "Schitomir" getauft hatten. Sie lag schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, neben einem Feuerlöschteich, den es auch nicht mehr gibt, an der Einmündung der heutigen Ziegelstraße, also da, wo das Autogeschäft jetzt ist. Auf dem offiziellen Verlaufsplan der Kleinbahn, den man wikipedia findet, ist diese Haltestelle allerdings nicht verzeichnet, denn es war "nur" eine Bedarfshaltestelle. Aber sie hatte immerhin ein eigenes Schild - mit der Aufschrift "Schitomir". 

Warum man diese Haltestelle "Schitomir" nannte? Jemand, der sich noch an die Kleinbahn erinnern kann (der Personenbetrieb wurde immerhin schon 1953 eingestellt), hat mir die folgende Geschichte erzählt:

Aus dem Delius-Gebäude sollen die Webstühle herausgebracht und oben am Teutoburger-Wald-Weg in der Knochenmühle eingelagert worden sein. Das Delius-Gebäude selbst wurde im Krieg von Kochs Adler genutzt, wo man leider nicht mehr Nähmaschinen, sondern Rüstungsgüter fertigen ließ, und zwar von ukrainischen oder russischen Zwangsarbeiterinnen, die in einer Baracke hinten auf dem heutigen Parkplatz untergebracht gewesen sein sollen, mit ihren Kindern, die man - wohl aus Angst vor Läusen und sonstigem lästigen Ungeziefer - kahl geschoren hatte. Diese Kinder sah man auch öfter mal in Werther herumlaufen - barfuß. Und bettelnd. Mit einem Stück Butterbrot konnte man sie glücklich machen. Männer hat man nie gesehen. Nach dem Krieg zog dann wieder Delius bei Delius ein. 

Schriftliche Belege habe ich aber nicht dafür, das sage ich hier ganz deutlich, und leider auch kein Foto von der Haltestelle. Ich kenne, wenn man so will, nur die mündliche Überlieferung. Alles Fotos vom Delius-Gebäude, die ich bislang gesehen habe, stammen aus der "Neuzeit" oder aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, dazwischen scheint es nicht viel zu geben. Wer mir mehr erzählen kann, der soll das bitte tun! 

Es wird Zeit, dass ich mich einmal mehr mit der Geschichte der Firma Delius beschäftige - es waren immerhin die direkten Nachbarn meiner Familie, und zwar über mindestens 80 Jahre. Soll heißen: Meine Großeltern und Urgroßeltern wohnten nicht nur mit Webstühlen, sondern auch mit den ganzen Zwangsarbeiterinnen und ihren Kindern nicht nur Tür an Tür, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Wand an Wand. Da kann mir keiner erzählen, dass sie nicht mitgekriegt haben sollen, was da nebenan passierte. 

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