Montag, 9. November 2020

Werther, im November 1938

Mit dem 9. November tue ich mich immer ein bisschen schwer, und erst recht mit dieser Bezeichnung "Schicksalstag der Deutschen". Das klingt so fatalistisch, als käme man nicht gegen aktuelle Geschehnisse an und könne nichts selbst beeinflussen, was ich einfach nicht glauben kann und will. Dass sich einzelne Ereignisse just an diesem Tag im Kalender so kumulieren, halte ich für einen ziemlichen Zufall, wenn man mal die Verbindung zwischen gescheitertem Putsch in München und der Pogromnacht rausnimmt. Dass die Mauer ausgerechnet am 9. November fiel, hat damit jedenfalls datumsmäßig ziemlich wenig zu tun. 

Ich kann mich noch an einen 9. November erinnern, an dem ich (damals noch als Teenager zu CVJM-Zeiten, also wirklich lange her) bei der Mahnwache auf dem Jüdischen Friedhof oben an der Egge war. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich den Friedhof seitdem nicht mehr betreten habe. Ich war auch noch nie auf dem jüdischen Friedhof hier in Halle (Westf.). Ich rede mir ein, dass es hauptsächlich daran liegt, dass beide verschlossen sind, wobei ich schlimm finde, dass es auch in heutigen Zeiten einen Grund dafür gibt, dass sie anscheinend verschlossen sein müssen. 

Trotzdem - der 9. November 1938 war der Tag, an dem alle spätestens hätten wissen müssen, dass da etwas sehr, sehr Ernstes vor sich geht. Dafür war die Gewalt zu offensichtlich. 

In Werther gab es - im Gegensatz zu Halle - damals noch eine Synagoge, die zwar nicht zerstört, aber schlimm verwüstet wurde. Das Gebäude selbst existiert nicht mehr. Die Wertheraner Thorarolle gibt es noch; sie wird inzwischen in der Synagoge in Bielefeld an der Detmolder Straße im Thoraschrank aufbewahrt, was ja nun auch keine Selbstverständlichkeit ist. 

Die Synagoge in Werther, Quelle: www.geschichtsportal-werther.de

Ja, auch im kleinen Werther (Werther-Stadt hatte damals so an die 2.600 Einwohner) spielten sich unschöne Szenen ab, wenn auch erst mit einem Tag Verspätung. Das Textilgeschäft Weinberg, mitten im Ort an der Ravensberger Straße gelegen, wurde zur Zielscheibe, noch bevor man sich der Synagoge widmete. Fünf jüdische Männer, Hugo Alexander, Julius Weinberg, Philipp Sachs, Max Sachs und Julius Sachs, wurden verhaftet und teilweise ins KZ überstellt. 

In Werther gibt es heute einen sehr aktiven Arbeitskreis Spuren jüdischen Lebens in Werther, der die Vorgänge damals aufbereitet hat. Auch die Erinnerungen des damaligen Amtmanns Ellerbrake sind erhalten und transkribiert. Zusammen mit anderen Zeitzeugeninterviews findet man sie im Geschichtsportal Werther. Hier ist der Link zur Übersichtsseite. 

Wenn ich Wilhelm Ellerbrakes Erinnerungen so lese, dann kann ich mir bildlich vorstellen, wie es im November 1938 in Werther zugegangen ist, auch wenn diese Erinnerungen erst später niedergeschrieben wurden und deshalb immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen sind. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie die Wertheraner in der Ravensberger Straße standen und guckten, was bei Weinbergs passierte. 

Worüber ich gestolpert bin ist die Tatsache, dass sich viele anscheinend mehr darüber aufgeregt haben, dass die Nazis Kinder zum Zerstören angestachelt haben, als über den Akt der Zerstörung selbst - da frage ich mich doch automatisch, wo denn in der Zeit ihre Eltern waren... haben die einfach nur zugeguckt? 

Ja, es waren andere Zeiten damals. Hoffe ich. Obwohl - auch heute muss man genau gucken, wer denn auf der Demo direkt neben einem läuft. Sonst lässt man sich genauso instrumentalisieren wie die Zuschauer damals... 



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