Mittwoch, 8. September 2021

Tour de Force Teil 1: Ypern

Es gibt einen Grund, weshalb ich hier ein paar Wochen nichts geschrieben habe - wir waren unterwegs, und zwar zuerst kurz in Belgien und dann in Frankreich, um genauer zu sein: In der Normandie und in der Bretagne. Insgesamt also eher im Norden. Nicht nur eine Tour der France, sondern auch ein bisschen eine Tour de Force: In diese paar Tage haben wir alles reingesteckt, was ging - bis auf die beiden letzten Nächte in Amiens haben wir jede Nacht in einem anderen Hotel verbracht. Ein Roadtrip par Excellence - den ich jederzeit wieder machen würde! 

So ganz kann ich mich im Urlaub aber trotzdem nicht von meinen Interessen verabschieden, und deshalb landen Teile davon als kleiner Reisebericht hier im Blog... 

Über Brüssel (wir wollten uns unbedingt die Banksy-Ausstellung angucken) ging es nach Ypern. Auf Französisch Ypres, auf Niederländisch Ieper. Für einen Städtetrip sehr zu empfehlen. Unser Hotel war mitten im Stadtzentrum, gegenüber vom Marktplatz und dem "In Flanders Fields"-Museum, das sich in der "Lakenhal" (dem alten Gewandhaus, den Tuchhallen) befindet. Als mein Mann das Museum sah, dämmerte es ihm, dass es kein Zufall gewesen sein konnte, dass ich eine Zwischenübernachtung in Ypern vorgeschlagen hatte: "Wie bist Du eigentlich auf Ypern gekommen?" Meine kurze und knappe Antwort: "Sterberegister Werther, 1. Weltkrieg.

Ja, Ypern hat im 1. Weltkrieg stark gelitten. 1916 sah es hier so aus: 
Quelle: wikipedia.org

Im Grunde kann man nur an den Türmen erahnen, dass es tatsächlich dieselbe Stadt ist. Dass die Tuchhallen 1916 so aussahen, ist übrigens einem Herrn Berthold von Deimling, seines Zeichens General der Infanterie, zu "verdanken". Er hatte sie am 04.11.1914 entgegen der ausdrücklichen Weisung seines Oberbefehlshabers Kronprinz Rupprecht von Bayern in Schutt und Asche legen lassen. Ich denke, das sagt einiges über den Charakter dieses Herrn aus. 

Keine zwei Wochen später, am 17.11.14, sind am Ende der 1. Flandernschlacht in Ypern auch mindestens drei Wertheraner gefallen: Erich Gottlieb Christian Harms (Student, 26 Jahre alt, und ironischerweise in England geboren), August Heinrich Schade (Knecht, 27 Jahre alt), und Fritz Karl Kindermann (Zigarrensortierer, 23 Jahre alt). Einen Tag später, am 18.11.1914, ging der Befehl ein, mehr Truppen für die Verwendung an der Ostfront freizustellen, weil die Schlacht um Lodz begonnen hatte und man dort dringend mehr Soldaten brauchte. Das hieß dann auch, dass es aufgrund von Personalmangel erstmal keine Offensivaktionen mehr an der Westfront geben konnte. Zumindest für diese drei Wertheraner kam der Befehl zu spät. 

Ypern hat auch traurige Berühmtheit dadurch erlangt, dass die Deutschen hier zum ersten Mal Chlorgas (22.04.1915 - auch hier hatte Herr von Deimling wieder seine Finger im Spiel) und Senfgas (1917) eingesetzt haben. Senfgas heißt im Französischen deshalb bis heute auch "ypérite". Dass der Herr von Deimling sich in späteren Jahren zum Pazifisten gewandelt haben wollte, haben ihm deshalb viele nicht abgekauft. Ich denke, diese Skepsis ist berechtigt. 

Heute sieht man Ypern auf den ersten Blick nichts mehr von dieser Vergangenheit an. Alles ist wieder aufgebaut. Die Tuchhallen werden auch gerade wieder renoviert, wobei das Museum aber ungestört weiter seinen Betrieb aufrecht erhalten kann. Allein wegen Covid ist die Anzahl der Besucher etwas begrenzt; man sollte sich deshalb im Voraus um Eintrittskarten kümmern. Und falls man etwas Wartezeit hat, dann kann man es so machen wie wir: Auf dem Marktplatz in einem der vielen Restaurants etwas essen und trinken (das örtliche Bier "Ypra" schmeckt sogar mir, und das will was heißen) und die Atmosphäre genießen. Und  sich dann die St.-Maartenskerk (die St.-Martins-Kathedrale) angucken, die direkt hinter den Tuchhallen liegt. Auch sie lag in Trümmern und wurde von 1922 bis 1930 wieder aufgebaut. Hat sich gelohnt! 

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