Samstag, 8. Oktober 2016

Georg Gieseler: Pfarrer, Aufklärer und begnadeter Netzwerker in Werther (1803-1839)

Am Donnerstag Abend habe ich mir im Gemeindehaus in Werther zusammen mit ungefähr 60 anderen den Vortrag von Herrn Dr. Frank Stückemann über Georg Gieseler angehört.

Gieseler war Pfarrer in Werther von 1803 bis zu seinem Tod im Jahre 1839, und ich war einfach neugierig zu hören, welche Persönlichkeit sich denn hinter dieser Schrift versteckt, die ich ständig in den Kirchenbüchern lese. Und ich wurde nicht enttäuscht. 

Es ärgert mich immer ein bisschen, dass sich Werther als "Böckstiegelstadt" verkauft und vermarktet - so als ob Böckstiegel der einzige nennenswerte Mensch in Werthers inzwischen über 1000jährigen Geschichte wäre (und dabei hat Böckstiegel auch noch einen guten Teil seines Malerlebens in Dresden verbracht). Es gab auch noch andere, die erwähnenswert sind, und Georg Gieseler war definitiv einer davon. Schade, dass er in Werther inzwischen ziemlich vergessen ist. Aber vielleicht wird sich das nach diesem Vortrag ja wieder ein bisschen ändern.

Gieseler wurde am 01.05.1760 als Georg Christoph Friedrich Gieseler in Lahde geboren, und zwar in einen Pfarrershaushalt. Schon im Jahr 1783, also noch bevor er ordiniert wurde, kam er für kurze zeit nach Werther, und zwar als Hauslehrer für die Kinder der Kaufmannsfamilien Venghaus und Walbaum. Er verschwand dann aber zunächst wieder. 1790 wurde er nämlich II. Pfarrer in Petershagen, und ein Jahr später heiratete er Sophie Christine Berger. Man ahnt es schon: Sie war die Tochter eines - Pfarrers. Insgesamt hatten die beiden 10 Kinder, von denen die ersten sechs noch in Petershagen geboren wurden. Vier weitere kamen dann noch in Werther dazu, nachdem Familie Gieseler 1803 nach hierhin umgesiedelt war, weil Gieseler die I. Pfarrstelle bekommen hatte.

Es hat Gieseler also gleich zweimal in dieses kleine Städtchen verschlagen. Beim zweiten Mal ist er allerdings geblieben.

Gieseler war ein Aufklärer im klassischen Sinne und beweist damit, dass es entgegen der landläufigen Meinung doch auch Aufklärung in Ostwestfalen gab. Die neupietistische Erweckungsbewegung um Theologen wie Volkening und Kuhlo kam wurde erst ein paar Jahre später richtig groß. Gieseler setzte nicht auf Gehorsam (er hatte schließlich selbst einen Hang zum Jähzorn und legte sich nicht ungern mit Autoritäten an), sondern auf emanzipatorische Gesichtspunkte, also auf die Befähigung zum Selbstdenken und Selbsthandeln.

Dabei setzte er schon bei den Landschulmeistern an. Während andere darüber nachdachten, ob es nicht völlig ausreichen würde, wenn die Lehrer nur einen geringen Wissensvorteil gegenüber der Landbevölkerung hätten und ob sich Lehrer überhaupt durch Lesen weiterbilden durften, kam Volkening auf die Idee, die Lehrer durch eine Leihbibliothek zu vernetzen. Die Bücher, bei den geringen Lehrergehältern eigentlich unerschwinglich, mussten regelmäßig untereinander weitergegeben werden. Gieseler brachte die Lehrer auch in Konferenzen zusammen. Während das alles der Regierung in Minden nicht wirklich passte, applaudierten ihm die Reformpädagogen.

Dass aus Gieseler ein Aufklärer geworden war, liegt vielleicht auch an seiner eigenen Geschichte. Gieseler war Autodidakt. Mit elf Jahren hatte er sich eine Erkältung zugezogen, die ihm aufs Gehör geschlagen war; in der Folge war er so gut wie taub. Die Vorlesungen an der Universität konnte er also nicht wirklich hören, sondern musste sich ihren Inhalt über die Mitschriften seiner Kommilitonen erarbeiten. Er war also auf Eigeninitiative angewiesen. Die brachte ihn wohl auch dazu, eine Lesetafel mit beweglichen Buchstaben zu entwickeln. 

Diese aufklärerischen Bestrebungen schlugen sich dann natürlich auch in seiner Gemeindearbeit nieder, sowohl in Petershagen als auch in Werther. In Werther bemangelte er zunächst, dass es nur wenige gäbe, die im Gottesdienst mitsängen und zur Kommunion gingen, aber das änderte sich wohl im Laufe der Zeit. Überhaupt war für Gieseler die "Moral der Gemeinde" keine Nebensache; ihm ging es um die "Reformierung des Herzens". Er beschäftigte sich auch mit der Lithurgie. Wenn es nach Gieseler gegangen wäre, dann hätte das Abendmal auch nicht nur viermal im Jahr, sondern besser jeden Monat stattgefunden, und zwar in voller Pracht als "metaphysikfreier Geistesschmaus".

So ganz nebenbei veröffentliche Gieseler noch viele Artikel zu seinen Lieblingsthemen und führte eine umfangreiche Korrespondenz. Ich frage mich, wie es alles unter einen Hut bekommen hat...

Gieseler starb 1839 in Werther. Sieben seiner Kinder haben ihn überlebt. Allein vier seiner Söhne haben ebenfalls Theologie studiert, darunter auch sein Ältester, Johann Karl Ludwig. Dieser teilte ganz augenscheinlich die Vorliebe seines Vaters für Veröffentlichungen, denn sein Hauptwerk war das "Lehrbuch der Kirchengeschichte" - in fünf Bänden. Wie der Vater...




Sonntag, 2. Oktober 2016

Wenn aus Freunden Verwandte werden...

Neulich habe ich, aus Jux und Dollerei, mal angefangen, am Stammbaum einer meiner Freundinnen zu werkeln. Nennen wir sie der Privatsphäre halber hier einfach mal "M". Ich kenne sie seit der 5. Klasse, also seit 32 Jahren, und irgendwie kamen wir auf das Thema, wo eigentlich ihre Vorfahren "wech" kamen.

Vom Geburtsdatum ihres Opas ausgehend raste ich also erstmal durch die Kirchenbücher von Halle und Brockhagen und kam schnell einige Generationen weit. Todesdaten und Geschwister ließ ich erstmal außen vor. In einer Stunde kann man da schon einiges schaffen.

Das erste Mal kam ich ins Stocken, als ich auf den Namen "Knuffinke" stieß. Mooooment. Knuffinkes habe ich auch unter meinen direkten Vorfahren. Wir werden doch wohl nicht verwandt sein...?

Ich blieb bei einem Henrich Christoph oder Johann Christoph Knuffinke hängen, der so um 1759 - aller Wahrscheinlichkeit nach - in Brockhagen geboren wurde, also zu der Zeit, in der man es mit den ganzen Vornamen der Geborenen oder Gestorbenen nicht ganz so genau nahm (er hat 1789 eine Margarethe Ilsabein Elbracht geheirat, und Elbracht-Vorfahren habe ich auch). Wer seine Eltern waren, weiß ich aber noch nicht.

An dieser Stelle geht es nur noch im Ausschlussverfahren weiter, und weil das ja bekanntlich ziemlich aufwändig ist (sogar in einem kleinen Dorf wie Brockhagen), habe ich den Knuffinke schweren Herzens erstmal Knuffinke sein lassen lassen.

Stattdessen guckte ich, wie es mit M's Wertheraner Linie weitergeht. Ja, tatsächlich - ausgerechnet diejenige, die mich von jeher genussvoll damit aufgezogen hat, dass ich ja im Grunde "von hinterm Berg" komme (also von der anderen Seite des Teutoburger Waldes), hat Vorfahren aus Häger - um genauer zu sein, aus Häger Nr. 12: Familie Wöhrmann genannt Nagel!

Wer in dieser Ecke von OWL forscht, dem fällt beim Namen Wö(h)rmann erstmal Jöllenbeck ein. Und genau da geht es mit dieser Linie auch weiter. Und zwar in Niederjöllenbeck 8.

Dort lebte in den Zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts Johann Hermann Nagel (geb. 1692) mit seiner Ehefrau Anne Marie Ilsabein Maag (geb. 1700). Die beiden hatten einen Sohn namens Johann Hermann, der mein direkter Vorfahr werden sollte, und eine Tochter namens Anna Ilsabein, die M's direkte Vorfahrin werden sollte. Wir sind also tatsächlich verwandt. Nur, dass Johann Hermann und Anne Marie Ilsabein meine 9fach-Urgroßeltern waren und ihre 6fach-Urgroßeltern. Bei mir liegen also drei Generationen mehr dazwischen, weil ich eher von den älteren Kindern der verschiedenen Ehe abstamme und M von den jüngeren.

Gibt es dafür im Deutschen eigentlich irgendeine Verwandtschaftsbezeichnung? Wenn ja - sagt's mir bitte...! 

Ach ja, eine Familienähnlichkeit kann ich übrigens nicht mehr feststellen. Aber nach 300 Jahren wäre das wohl auch ein bisschen zuviel verlangt...