Donnerstag, 12. Januar 2017

Die Sache mit der Beschneidung...

... betrifft mich jetzt zwar nicht direkt, interessiert mich aus irgendeinem Grunde aber trotzdem. Das ist wahrscheinlich die Eigenschaft, die man bei allen Forschern in überproportionalem Maße findet - Neugier. 

Als ich die Judenregister von Werther bzw. aus dem Altkreis Halle durchguckte, fiel mir auf, dass bis 1846 in den allermeisten Fällen nicht nur das Datum der Beschneidung (Brit Mila) genannt wurde, sondern auch derjenige, der dieses Ritual durchgeführt hat. In der Zeit von 1815 bis 1821, als Pastor Gieseler das Register geführt hat, erwähnt er zwar nur in einem einzigen Fall, wer die Beschneidung vorgenommen hatte ("Rabbi Moses"), aber danach, im kreisweiten Register, steht es bei jedem Jungen explizit dabei.

Und ich frage mich, was diese Information überhaupt in behördlichen Akten zu suchen hatte. Ist ja schließlich ein religiöser und kein staatlicher Akt.

Trotzdem: Wenn man diese Informationen schon mal hat, dann kann man sie ja auch nutzen. Ich habe sie also mit in Werthers Gedächtnis eingearbeitet. Der Vollständigkeit halber. Die Taufdaten der anderen Kinder habe ich ja auch erfasst.

Und weil ich gerade schon einmal dabei war, habe ich mir auch noch eine Liste der "Beschneider" angelegt. Der Grund dafür war eigentlich, dass mir der Name "Selig Werthauer" so oft aufgefallen war - und ja, bei 22 von 46 Beschneidungen, bei denen der Name des Mohel (das ist der terminus technicus) aufgeführt ist, war es Selig Werthauer, der die Prozedur durchführte:

Name Ort Anzahl Jahre
Arensberg, Julius Lage 1 1839
Baumann, Peritz Oerlinghausen, später Spenge 2 1840-1845
Boas, Bendix Lübbecke 2 1825-1830
Boas, Michel Lübbecke 1 1826
"Rabbi Moses"

1 1818
Paradies, Abraham Lage 2 1825-1827
Paradies, Isaac Lage, ab 1827 Oerlinghausen 5 1824-1831
Paradies, Samson Oerlinghausen 4 1832-1844
Posener, Joachim Bielefeld 3 1830-1846
Weinberg, Abraham Aron Westernkotten 5 1815-1828
Werthauer, Selig Herford 22 1824-1846

Selig Werthauer dürfte also ein ziemlich beschäftigter Mann gewesen sein, denn wenn ich mir die Register so angucke, dann war er nicht nur in Werther aktiv. (Und ich nehme mal an, dass die drei Herren Paradies miteinander verwandt waren.)

Soweit ich weiß, durfte ein Mohel für seine Tätigkeit als solche kein Geld annehmen, sondern nur Spesen für seine Aufwendungen. Was mich im übrigen auch zu der Frage bringt, wie vor allem Herr Werthauer seine Logistik bewältigt hat.

Ein Neugeborener musste am Abend seines 8. Tages beschnitten werden (es sei denn, das Kind war zu schwach), also war es wichtig, dass der Mohel genau dann an Ort und Stelle war. Wie genau kriegte man das hin, vor allem, wenn ein Kind ein paar Tage früher auf die Welt kam als gedacht? Heute braucht man mit dem Auto eine knappe halbe Stunde für den Weg von Herford nach Werther, aber damals war das im Grunde eine Tagesfahrt. Sagte man vorher Bescheid, so in dem Sinne, "Meine Frau bekommt wahrscheinlich in den nächsten Tagen ein Kind, und falls es ein Junge wird, hätten wir Sie gerne als Mohel bei der Brit Mila dabei..."? 

Und überhaupt - wie wurde die Brit Mila gehandhabt? Ich meine jetzt nicht zwingend den Schnitt an sich, aber in welchem Raum wurde sie durchgeführt? Wieviele Leute waren dabei? Wer war dabei? Wurde gefeiert, und wenn ja, wie? Was passierte, wenn sich die Wunde entzündete - ging man dann zum - evangelischen - Doktor?

Falls jemand Ahnung von diesen Dingen hat: Hinterlassen Sie mir einen Kommentar - ich bin neugierig!


Sonntag, 8. Januar 2017

Die Geburten in der Stadt Werther von 1815 bis 1846

Wenn ich schon einmal dabei bin, die jüdischen Wertheraner in Werthers Gedächtnis einzutragen, dann ist das eine schöne Gelegenheit, auch mal ein bisschen Statistik zu betreiben. Da bietet es sich doch an, mit den Geburten anzufangen...

Zwischen 1815 und 1846 wurden in Werther insgesamt 104 jüdische Kinder geboren. Es ist irgendwie schön, die Statistik genau aufgehen zu sehen, denn es sind genau 52 Jungen und 52 Mädchen:

Jahr Jungen Mädchen gesamt
1815
1
1
2
1816
0
1
1
1817
1
2
3
1818
1
2
3
1819
0
2
2
1820
1
3
4
1821
0
0
0
1822
2
0
2
1823
0
1
1
1824
3
5
8
1825
4
0
4
1826
3
3
6
1827
4
3
7
1828
2
0
2
1829
2
2
4
1830
2
2
4
1831
1
0
1
1832
3
0
3
1833
1
3
4
1834
3
1
4
1835
2
3
5
1836
2
2
4
1837
1
2
3
1838
1
0
1
1839
3
3
6
1840
1
2
3
1841
2
1
3
1842
1
4
5
1843
0
0
0
1844
2
2
4
1845
1
2
3
1846
2
0
2


52
52
104

Alle jüdischen Familien, die in dieser Zeit Zuwachs bekommen haben, lebten in der Wertheraner Innenstadt. Ich konnte keine Familie in den Landgemeinden finden, obwohl es zum Beispiel auch Viehhändler gab und man einen solchen ja durchaus auch nicht zwingend mitten in der Stadt vermuten müsste. Aber weil man sich in der Stadtgemeinde "knubbelte", erschien es mir sinnvoll, doch mal zu gucken, wie viele evangelische Kinder denn in demselben Zeitraum dort geboren worden sind:

Jahr Jungen Mädchen gesamt
1815
34
20
54
1816
28
27
55
1817
28
20
48
1818
20
25
45
1819
34
35
69
1820
31
26
57
1821
35
38
73
1822
27
32
59
1823
33
37
70
1824
40
27
67
1825
32
35
67
1826
39
27
66
1827
29
31
60
1828
39
26
65
1829
24
37
61
1830
29
29
58
1831
23
21
44
1832
30
29
59
1833
39
39
78
1834
41
32
73
1835
34
33
77
1836
36
45
81
1837
36
37
73
1838
35
38
73
1839
40
38
78
1840
40
38
78
1841
45
39
84
1842
41
41
82
1843
38
28
66
1844
30
37
67
1845
38
35
73
1846
42
31
73


1.100
1.033
2.133

2.133 zu 104. Grob gesprochen kann man also sagen, dass ungefähr 20 Mal soviele evangelische wie jüdische Babies geboren wurden, selbst wenn man dabei berücksichtigt, dass in den evangelischen Statistiken auch Totgeburten enthalten sind, die ich in den Judenregistern (ein fürchterliches Wort, oder?) nicht gefunden habe. Wenn man die Landgemeinden noch mit dazu nimmt, dann kann man wahrscheinlich noch einmal ungefähr 4.500 evangelische Kinder in diesem Zeitraum dazurechnen (da muss ich wohl noch ein bisschen Statistik betreiben, um diese Zahl zu verifizieren).

Schade, dass ich keine katholischen Zahlen habe, die ich der Vollständigkeit halber dagegen halten kann, aber ich schaffe es eben nicht so oft nach Paderborn ins Erzbistumsarchiv, und wenn, dann gucke ich eher nach meinen eigenen katholischen Linien. Wenn die A33 endlich mal fertig gebaut ist, wird sich das aber vielleicht ändern...

Jedenfalls kann man sich ungefähr vorstellen, wie sehr sich diese paar Familien in der Minderheit gefühlt haben müssen... aber schlug sich das im alltäglichen Leben auch nieder, und wenn ja, wie? Gut, man ging in die Synagoge, während die anderen in die Kirche gingen (wenn sie es denn taten), aber ansonsten? Man gab den Kindern traditionell andere Namen (ich habe, wie man sich denken kann, keine jüdische Ilsabein gefunden und keinen evangelischen Moses), und die Jungs wurden kurz nach ihrer Geburt eben beschnitten. Für den alltäglichen Umgang miteinander scheint mir vor allem letzteres doch ziemlich irrelevant.

Was waren also die anderen Unterschiede, und was waren die Gemeinsamkeiten? Das ist das, was mich interessiert.

Samstag, 7. Januar 2017

Die westfälischen Juden- und Dissidentenregister von 1808 bis 1874

Von vielen Familienforschern unbemerkt hat das unbemerkt hat das Landesarchiv NRW inzwischen sämtliche Juden- und Dissidentenregister aus den Jahren 1808 bis 1874 online gestellt. Und das auch noch gratis! Da muss man doch mal "danke" sagen.

Man klicke einfach auf den gewünschten Ort, dann dort auf das Kamerasymbol, und schwupp - man hat die Register innerhalb ein von nur ein paar Sekunden auf dem Bildschirm.

Eine kleine Tücke hat die Sache allerdings doch: Wie zum Beispiel für Werther findet man die meisten Register nicht unbedingt in der Stadt, in der man eigentlich sucht - dann muss man sich mal in der nächsten Kreisstadt umgucken (Werther gehörte damals ja zum Kreis Halle, der 1973 aufgelöst wurde - also findet man die Register unter Halle).  Oft lohnte es sich eben nicht, für jede Kleinstadt eigene Register anzulegen...

Meinen Nachmittag habe ich dann auch damit verbracht, die jüdischen Geburten von 1815 bis 1846 in "Werthers Gedächtnis" einzutragen. Da sind die Register wirklich wunderbar zu lesen - nur diese ganzen Patronyme machen mich rammdösig...

Montag, 2. Januar 2017

Demnächst in meinem Bücherregal - wenn ich es denn wieder benutzen kann...


Das war er nun also, der erste Arbeitstag im neuen Jahr. Man hat das Gefühl, als hätte es die Feiertage gar nicht gegeben, so sehr ging der ganz normale Wahnsinn heute wieder los...

Zur Belohnung und als Ausgleich sitze ich nun mit einer großen Tasse heißer Milch mit Honig (bei der Kälte da draußen genau das richtige, um auch innen und im Inneren warm zu bleiben) in meinem Lieblingssessel, genieße den ersten Feierabend im Jahre 2017 und blättere in den beiden neuen Publikationen des Historischen Vereins, den Ravensberger Blättern (Zweites Heft 2016) und dem 101. Jahresbericht.

Ist schon praktisch, dass man beides als Mitglied im Historischen Verein automatisch zugeschickt bekommt, auch wenn ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen habe, weil ich beides sonst in meinem Lieblingsbuchladen kaufen würde, und man sollte den lokalen Einzelhandel ja schließlich unterstützen... aber ich will mich ja gar nicht beschweren. Im Gegenteil, ich freue mich immer richtig, wenn ich einen dicken Umschlag in meinem Postfach finde, der mal nichts mit meinem Arbeitsalltag zu tun hat.


Als alte Wertheranerin freue ich mich natürlich besonders auf den Beitrag von Dr. Frank Stückemann im Jahresbericht, weil darin in einem 30seitigen Bericht auch Werthers Pfarrer Georg Gieseler ausgiebig zu Wort kommt. Schön ist es in diesem Falle auch, dass ich zu dem Namen des Verfassers auch ein Gesicht kenne, denn ich hatte ja im Oktober 2016 das Vergnügen, mir den Vortrag Herrn Stückemanns im Wertheraner Gemeindehaus anzuhören.

Auf die anderen Beiträge bin ich aber auch gespannt. Ein komplettes Inhaltsverzeichnis findet man hier, und zwar gleich für beide Publikationen.

Und auch das Timing stimmt perfekt. Zum einen habe ich erst gestern das letzte Buch ausgelesen (das "Lexikon der bedrohten Wörter", ausgerechnet), so dass mein Hirn wieder entsprechende Kapazitäten frei hat, und zum anderen könnte ich die beiden Neuerwerbe auch noch gar nicht ungelesen in meinem Bücherregal verstauen, selbst wenn ich es wollte - ich komme im Moment nämlich gar nicht dran... noch steht der Weihnachtsbaum direkt davor...!