Samstag, 24. Februar 2018

Lektion gelernt: Zwillinge (Teil 2)

Mein Vater konnte sich noch gut an seine Großmutter Lina, mit vollem Namen Margarethe Katharine Karoline Gehring geborene Plessner, erinnern. Kein Wunder, denn als sie am 6. August 1962 starb, war mein Vater immerhin schon 19 Jahre alt.

Was mein Vater nicht wusste: Lina hatte eine Zwillingsschwester. Er hat also erst von mir erfahren, dass er eine Großtante hatte, Marie Katharine Elise Plessner

Die beiden Zwillinge wurden am 25. September 1887 in Suttorf Nr. 20 (im Kirchspiel Neuenkirchen, gehört heute zu Melle) geboren, als Töchter des Colons Heinrich Wilhelm Plessner und Caroline Marie Dieckmannskamp. Ich kann mir noch gut an meine eigene Überraschung erinnern, denn mit einer Zwillingsschwester von Lina hätte ich nun gar nicht gerechnet.

Es war ein ziemlich schöner Frühsommerabend Ende Mai 2011, als ich mit Herrn Werner, dem Hüter der Neuenkirchener Kirchenbücher, im Pfarramt in Neuenkirchen saß und in den Originalen blättern durfte. Wie man sieht, habe ich meine Neuenkirchener Linie lange Zeit ziemlich vernachlässigt. Mein Gedanke war: "Moment. Wenn sich keiner mehr an eine Zwillingsschwester erinnern kann, dann ist sie vielleicht früh gestorben." Meine Ahnung war leider richtig, und wir mussten auch nicht allzu lange nach dem entsprechenden Eintrag suchen, es war nämlich der erste im Jahr 1889: Marie Katharine Elise ist schon am 2. Januar 1889 wieder gestorben, also mit gerade einmal fünfzehn Monaten. Sie hatte sich mit den Masern angesteckt.

Ich nehme also an, dass selbst meine Uroma Lina keine Erinnerung mehr an ihre Zwillingsschwester hatte. Auch die ältere Schwester der beiden, Luise, war damals noch nicht einmal vier Jahre alt, so dass für sie dasselbe gegolten haben wird. Und die beiden anderen Geschwister (von denen ich weiß), Marie und Heinrich Wilhelm, waren noch gar nicht auf der Welt.

Zwei Generationen später war damit schon wieder vergessen, dass es damals noch ein kleines Mädchen gab, das die Masern nicht überlebt hat. So schlecht ist das menschliche Gedächtnis...

Lektion gelernt: Schließe nie aus, dass Dein Vorfahr ein Zwilling war, bis Du den Eintrag vor und den Eintrag nach seinem Geburts- bzw. Taufeintrag kontrolliert hast, denn es braucht im Zweifelsfall nur zwei Generationen, bis ein früh gestorbenes Kind in Vergessenheit gerät. 

Ganz abgesehen davon: Masern sind und waren hochinfektiös. Heute gibt es die entsprechenden Impfungen dagegen (und es ist mir ein Rätsel, warum es Menschen gibt, die sie ablehnen), aber damals war man davon noch ziemlich weit entfernt. Es kann also gut sein, dass Lina die Masern damals auch hatte - dann nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie sie überlebt hat. Reines Glück also. 

Sonntag, 11. Februar 2018

Panzerjägerabteilung 306 und Infanterie-Regiment 670 und 371. Infanterie-Division...

Es freut mich immer, wenn ich auf mein Blog hier Rückmeldungen bekomme, und vor allem natürlich, wenn sie in direktem Zusammenhang mit den Fragen stehen, die ich hier aufwerfe. Deshalb noch einmal zurück zu Helmut Gehring... 

Ich weiß nun, dass er in Brügge in der Panzerjägerabteilung 306 war, bevor er an die Ostfront verlegt wurde. Diese Information stammt von jemandem, der mit ihm dort war, und der seine Eltern (also meinen Urgroßvater und meine Urgroßmutter) nach Helmuts Tod geschrieben hat und davon berichten konnte, weil er in derselben Kompanie war. Dieser Brief wurde am 24.09.1942 geschrieben (genau am Geburtstag meines Vaters, was für eine Ironie) und endet mit "So grüße ich Sie fern der Heimat aus dem Raume Stalingrad".

Wenn man das liest, wird's einem doch ein bisschen anders. 

Was der Brief auch noch hergibt, das ist natürlich die Feldpost-Nummer des Schreibers, in diesem Fall die 07877. Nach diesen Feldpostnummern kann man zum Beispiel über das Deutsche Rote Kreuz suchen. Für die Nummer 07877 ergibt sich dabei das Infanterie-Regiment 670.

Dieses Regiment wurde im März 1942 in Belgien aufgestellt und gehörte dann wohl zur 371. Infanterie-Division. Ab dem 9. Juni 1942 ging es per Eisenbahn nach Kischinewk, was mir so gar nichts sagte, so dass ich es erstmal wikipedieren musste. Kischinewk heißt heute Chisinau und ist die Hauptstadt der Republik Moldau. Was ich so im Netz über Chisinau lese, macht mich nochmal eine Runde fassungsloser: Massenerschießungen von Juden unter der deutsch-rumänischen Besetzung im Sommer 1941; die Zahl der insgesamt dort ermordeten Juden wird laut Wikipedia auf ungefähr 10.000 geschätzt.

Uff. Das ist also die Atmosphäre, in der Helmut Gehring dann landete. Da fragt man sich unweigerlich, wieviel er davon mitbekommen hat. Aber darauf werde ich wohl nie eine Antwort bekommen.

Es sollte nicht dabei bleiben: Ab Chisinau wurde marschiert. Am 5. Juli begann der Vormarsch auf Woroschilowgrad.

Ab da ging es dann ohne Helmut Gehring weiter.

Im November 1942 wurde man der 6. Armee unterstellt. Und was mit der in Stalingrad passierte, das ist ja nun bekannt.

Diese ganze Recherche nach den Geschehnissen im Zweiten Weltkrieg finde ich nicht ganz einfach, zumal mir gleichzeitig bewusst wird, wie wenig ich in der Schule zu diesem Thema gelernt habe (vielleicht hätte ich ja doch den Geschichts-LK nehmen sollen? Dann wäre ich jetzt eventuell etwas klüger). Ich habe einfach keine Lust, auf den "falschen" Seiten zu landen und "alternativen Fakten" aufzusitzen. Wenn es also noch jemanden da draußen gibt, der mir mehr davon erzählen kann...?   

Sonntag, 4. Februar 2018

Der Russlandfeldzug ... und ein kleines Gedankenspiel

In dieser Woche ist es 75 Jahre her, dass die Schlacht um Stalingrad endete. Vielleicht sollte man das mal zum Anlass nehmen, um zu gucken, welche Auswirkungen der Russland-Feldzug eigentlich auf die eigene Familiengeschichte hatte.

In meiner Familie sind die Auswirkungen offensichtlich:

Das hier ist mein Großonkel, Hermann Wilhelm Helmut Gehring. Er ist am 15.07.1942 bei Woroschilowgrad (das heute wieder Altschewsk heißt und in der Ukraine liegt) gefallen. Da war er gerade mal 25. Und ja, es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier ein Foto zu posten, das einen Verwandten in Nazi-Uniform zeigt. Rechte Tendenzen kann ich bei mir selbst nämlich gar nicht ausmachen. Trotzdem gehört auch das zu meiner Familiengeschichte, ob ich will oder nicht. 

Helmut Gehring war wohl beim "Fall Blau" dabei, jedenfalls sagt mir Wikipedia, dass Altschewsk ungefähr in der Mitte des Gebiets lag, in das die Wehrmacht zwischen dem 7. und dem 22. Juli 1942 einfiel. Zeitlich käme das also hin.

Ich habe keine Ahnung, in welcher Einheit Helmut gedient hat oder welchen Rang er hatte. Vielleicht kann ja jemand anhand der Uniform etwas dazu sagen? Angeblich soll er vor dem Russland-Feldzug in Brügge gewesen sein, aber dafür habe ich auch keine Beweise. Wenn er zur 6. Armee gehörte, dann war er wohl auf dem Weg nach Stalingrad. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er das überlebt hätte, wäre auch nicht groß gewesen.

Fakt ist jedenfalls, dass mein Vater nach ihm benannt worden ist. Nach dem, was mein Vater mir erzählt hat, war eigentlich nur geplant, dass er "Hermann August" heißen sollte, nach seinen beiden Großvätern. Dann aber fiel Helmut, als meine Großmutter (also seine Schwester) im siebten Monat war. Damit war klar, dass mein Vater nicht nur Hermann August, sondern Hermann August Helmut heißen würde. Und Helmut wurde gleich auch noch sein Rufname, was ja nahe lag, denn so konnte man ihn wenigsten von den ganzen anderen Hermännern und Augusts unterscheiden.

Helmut Gehrings Tod hatte jedoch auch noch eine ganz andere Auswirkung: Er war eigentlich derjenige gewesen, der die Mühle in Häger von meinem Urgroßvater August Gehring übernehmen sollte (und wohl auch wollte), aber da hat der Lauf der Geschichte den Gehrings einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für den Rest der Familie war diese nun fehlende Nachfolgeregelung auch nicht ganz einfach, soviel ich weiß. Ist ja auch kein Wunder: Da denkt man, dass man jemanden hat, der das eigene (wenn auch kleine) Unternehmen weiterführt, und dann kommt so ein verdammter Krieg und ändert alles. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Uropa August damals schon ahnte, dass der Beruf des Müllers sowieso ein aussterbender war und dass im Jahr 2018 Mühlen höchstens nur noch an Sonntagen zu Schauzwecken für die späteren Generationen mahlen würden...

Was wäre also gewesen, wenn es den Russlandfeldzug (oder besser den gesamten Krieg, oder am allerbesten: das ganze verdammte Nazi-Regime) nicht gegeben hätte? 

Helmut hätte wahrscheinlich noch um einiges länger gelebt, die Mühle in Häger übernommen und vielleicht eine Familie gegründet. Seine Eltern und Geschwister hätten nicht um ihn trauern müssen. Mein Vater hätte nicht Helmut geheißen, sondern wahrscheinlich Hermann, und vielleicht hätte er ein paar Cousins mehr zum Spielen gehabt...

Diese Vorstellung ist jedenfalls um einiges idyllischer als die Wirklichkeit.

Schade.