Man kann es ja heute kaum glauben, aber es gab auch Zeiten, als sich die Menschen noch nicht über das Internet kennenlernten. Ich gehöre immer noch zu denen, die in der Tageszeitung die Berichte über die Goldenen Hochzeiten lesen, schon alleine, weil ich es immer gerne höre, wie sich die beiden denn damals überhaupt kennengelernt haben. Es sind teilweise schon unglaubliche Geschichten dabei.
Was ich nicht genau weiß ist, wie sich Willy Hauffe und Lina (eigentlich Caroline Wilhelmine) Ortmeyer kennengelernt haben, meine Urgroßeltern in der mütterlichen Linie. Wenn man sich die Grundkonstellation anguckt, dann sprach eigentlich nichts dafür, dass diese beiden, die immerhin 51 Jahre lang verheiratet waren, sich überhaupt über den Weg laufen würden. Welcher Zufall wohl da seine Hand im Spiel hatte?
Willy wurde am 27. Mai 1896 in Burg bei Magdeburg geboren. Um mir seine Stammfamilie mal ein bisschen genauer anzugucken, bin ich vor knapp zwei Jahren ja auch auf einen kleinen Forschungstrip gen Osten gefahren und habe einiges gefunden. Lina war ein knappes Jahr älter als er; sie war schon am 14. Juni 1895 in Halle-Oldendorf zur Welt gekommen. Zwischen diesen beiden Orten liegen immerhin ungefähr 270 Kilometer, und irgendwelche anderen Verbindungen zwischen Sachsen-Anhalt und Ostwestfalen kann ich in meinem Stammbaum auch nicht finden.
Nun kommt wieder die Familienlegende ins Spiel.
Nach dieser Legende war Willy im I. Weltkrieg "hier" - gemeint war wahrscheinlich Halle und Umgebung -, und zwar aus kriegstechnischen Gründen. "Hier" traf er dann auf Lina, mit dem Resultat, dass Lina von ihm schwanger wurde. Liebe in Zeiten des Krieges.
Und weil Krieg war, blieb Willy auch nicht "hier", sondern wurde nach Berlin versetzt, und zwar vermutlich ohne zu wissen, dass er bald Vater werden würde. Lina stieg, schwanger wie sie war, in den Zug und fuhr nach Berlin, um Willy zu suchen.
Ich stelle mir das gerade vor: Knapp 23 Jahre alt, unverheiratet, aber dafür schwanger, und mitten in der Urkatastrophe auf dem Weg vom kleinen Halle mit seinen knapp 7.000 Einwohnern in die Großstadt Berlin mit rund zwei Millionen Menschen. Hauptstadt eines Kaiserreichs, das bald nicht mehr existieren wird.
Wenn die Geschichte stimmt (und ich konnte sie noch nicht verifizieren), dann war Linas Reise erfolgreich:
Am 4. September 1918 wurde jedenfalls in Halle geheiratet. Ungefähr sieben Wochen später kam dann Martha zur Welt - meine Oma. Diese letzten beiden Daten sind natürlich wieder belegt. Weitere drei Wochen später war der Krieg vorbei, und Willy und Lina blieben ihr ganzes weiteres Leben in Halle, wo sie 1969 bzw. 1970 im Abstand von gerade mal einem halben Jahr auch beide starben.
Wenn ich mich nicht irre, dann wurde dieses Foto zu ihrer Silberhochzeit aufgenommen. Lina ist in der Mitte, Willy steht rechts neben ihr. Und ja - Willy war kleiner als sie...
Schade, dass ich wahrscheinlich nie erfahren werde, wie Lina und Willy sich tatsächlich kennengerlernt haben. Die Familienlegende klingt ja nun schon fast wie ein historischer Roman... Leider sind inzwischen auch alle ihre Kinder nicht mehr am Leben, so dass ich niemanden mehr fragen kann. Falls jemand noch Ideen hat, zum Beispiel, wie ich herausfinden könnte, was Willy ausgerechnet ins beschauliche Ostwestfalen verschlagen hat - ich bin für jede Anregung dankbar!
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