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Samstag, 24. Juni 2023

Kurz und knapp und ohne Gedöns

Wenn man ein eigenes Geschäft hat, dann muss man dafür sorgen, dass die Leute auch wissen, dass man etwas zu bieten und zu verkaufen hat. Das war vor 100 Jahren nicht anders als heute, wenn sich vielleicht auch der Stil ein wenig geändert hat... 

Diese Anzeige hier hat mein Uropa Schwentker in der Festschrift zum 25. Bestehen des Turnvereins Werther geschaltet: 

Einfach und auf den Punkt. Der Ostwestfale macht keine unnötigen Worte.

Etwas erstaunt bin ich allerdings, dass keine Adresse dabei steht. Aber andererseits... so groß war Werther nun auch nicht. Wer etwas brauchte, der wusste, wo sie Uropa (und Opa) und "sämtliche Baumaterialien" finden konnten. Da konnte man sich die "Engerstraße 25" auch sparen...
 

Freitag, 2. Juni 2023

Geburt in der Wohnung der Hebamme?

Der Familienforschungsmuffel hat heute unsere Post entgegen genommen. Er war gerade zufällig draußen und stand mit einem Freund vor dessen (ehemaligem) gelben (Post-)Bulli, als der aktuelle Postbulli auf den Hof gefahren kam. Ja, unser Postbote war etwas irritiert... 

Minuten später stand der Familienforschungsmuffel dann auch grinsend vor mir: 

"Post vom Standesamt Aachen!"

Er weiß ja genau, was mich triggert... 

In der festen Überzeugung, dass das erstmal nur wieder der Gebührenbescheid sein konnte, schnappte ich mir also den Brieföffner (ja, ich habe tatsächlich noch so ein Gerät) und war baff erstaunt, als mir das hier quasi entgegen fiel: 

Der Geburtseintrag von Friedrich Wilhelm Schwartz, dem Großvater mütterlicherseits des Familienforschungsmuffels. Geboren am 10.11.1916 in Aachen. 

Wilhelms Vater war, wie ich wegen der Einträge in den einschlägigen Adressbüchern schon vermutet hatte, auch ein Wilhelm. Grubenarbeiter, wundert mich nicht. Auch Wilhelm war ja Bergmann. 

Bei Wilhelms Mutter musste ich dann doch etwas grinsen, nachdem ich ihren Namen dann entziffert hatte: Theresia Kuckelkorn

Der Name Kuckelkorn ist mir in den letzten Tagen schon öfter mal über den Weg gelaufen; er scheint im Rheinländischen ziemlich verbreitet zu sein. Außerdem klingt er in meinen ostwestfälischen Ohren so drollig, dass er mir einfach im Gedächtnis geblieben ist, als ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Lustigerweise war das im ZDF: Es gab vor ein paar Jahren mal eine Serie mit einem alleinerziehenden Pfarrer mit diversen Söhnen in Bonn, und der Küster in dieser Serie hieß... richtig. Keine Ahnung, weshalb mein Gehirn solche Informationen abspeichert. Vielleicht, weil ich 2016 selbst öfter in Bonn zu tun hatte? Richtig drollig wurde es aber, als ich bei wikipedia darüber gestolpert bin, wo diese Serie gedreht wurde: In der Kartäuserkirche in Köln. Die hatte ich mir online nämlich mal angeguckt, weil Wolfram Gehring, der Cousin meiner Großmutter Anneliese über deren Onkel Heinrich, dort lange Jahre Organist war. Und nach dem, was ich online über ihn finde, auch ein richtig guter.  

Zurück zu Familie Schwartz

Nun stehe ich vor einem Problem. Ich weiß zwar nun, wer die Urgroßeltern des Familienforschungsmuffels waren, aber ich kenne weder ihre Geburts- und Sterbedaten noch das Heiratsdatum. Ich habe als allererstes mal die Sterbeeinträge von Kohlscheid und Bardenberg von 1916 bis 1937/38 auf der Seite des Landesarchivs NRW durchgeguckt, aber dort finde ich nichts, weder Wilhelm noch Theresia oder ein früh verstorbenes Kind der beiden, das mir geholfen hätte, meinen Suchradius etwas einzugrenzen. In Kohlscheid gibt es mit St. Katharina zwar eine schöne neoklassizistische Kirche, aber ihre Kirchenbücher sind bei matricula noch nicht online. Da muss ich mal sehen, wie es weitergeht. 

Außerdem grübele ich noch darüber, dass Wilhelm in Aachen geboren wurde, obwohl seine Eltern in Kohlscheid lebten. Der Geburtseintrag ist da sehr klar: "wohnhaft bei ihrem Ehemann in Kohlscheid, Kreis Aachen Land". Als Geburtsort des Kindes wird die Adresse der Hebamme Maria Licher genannt, nämlich die Jakobstraße 18 in Aachen. Google Maps verrät mir, dass die Jakobstraße in Aachen mitten in der Stadt am Markt und damit in direkter Nähe des Doms beginnt und dann quer durch die Altstadt nach Südwesten verläuft. Eine Nr. 18 kennt Google Maps heute zwar nicht mehr, aber es würde mich nicht wundern, wenn sich da in den letzten 107 Jahren etwas an der Numerierung geändert hätte, denn Aachen ist im 2. Weltkrieg ja nun nicht gerade verschont geblieben, im Gegenteil: Es gab fünf große Luftangriffe, die über 5.000 Häuser zerstört haben. Ich weiß noch, dass der Familienforschungsmuffel und ich vor 10 Jahren mal in Aachen waren und wir uns gewundert haben, dass es den Dom überhaupt noch gibt (in Köln erging es uns übrigens nicht anders). Ich gehe auch mal ganz stark davon aus, dass die Numerierung am Markt anfing und nicht am äußeren Ende der Straße. Demnach könnte man in Aachen nicht viel zentraler geboren sein als Wilhelm. 

Aber - warum? Warum bekam Theresia ihr Kind nicht zu Hause in Kohlscheid? 

Ich habe eine Theorie, die das erklären könnte: Wenn wir davon ausgehen, dass der Vater Wilhelm 1916 im "wehrfähigen" Alter war, ist es gut möglich, dass er zur Geburt seines Kindes gar nicht zu Hause war, sondern in irgendeinem Schützengraben lag. Vielleicht hat sich dann Theresia gedacht, dass sie ob dieser Situation auch woanders besser aufgehoben wäre als alleine zu Hause und ist vielleicht bei Verwandten in Aachen untergekommen? Vielleicht kam sie ja sogar aus Aachen? Aber selbst das würde nicht erklären, weshalb Wilhelm in der Wohnung der Hebamme zur Welt kam. Ich kenne es eigentlich eher so, dass auch damals schon die Hebamme zur Gebärenden kam und nicht umgekehrt. 

Ideen?

Donnerstag, 25. November 2021

Hermann Peter Heinrich Schwentker (1908-1966)

Heute vor genau 55 Jahren, ist mein "anderer" Großvater gestorben, Hermann Peter Heinrich Schwentker. Mein "anderer" Großvater deshalb, weil ich ihn nie kennengelernt habe. Hätte ich aber gerne, denn irgendwie habe ich Probleme, mir eine Vorstellung von ihm zu machen.

Hermann war am 15. Februar 1908 in Werther Nr. 203 geboren worden, als Sohn des Maurermeisters Hermann Heinrich Schwentker und dessen Frau Marie Elisabeth Heidemann. Er war das dritte Kind der beiden und ihr einziger Sohn, also war schon früh vorprogrammiert, dass er einmal das Baugeschäft an der Engerstraße weiterführen sollte. Bis er das alleinige Sagen hatte, musste er allerdings noch bis zum Tod seines alten Herrn im Jahr 1957 warten, denn Uropa Hermann ging auch im hohen Alter abends immer noch durch sämtliche Räumlichkeiten, um zu gucken, dass ja auch alle Lichter aus waren. 

Das hier ist eindeutig mein Lieblingsfoto von ihm, weil er da so dynamisch rüberkommt. Und diese Haare! Ich weiß nicht, warum er sie immer nach oben gekämmt hat, aber das scheint er ja, wenn ich mir das Foto oben so angucke, schon seit seiner Jugend so gemacht zu haben. 

1940, also mit 32 Jahren, hat Hermann das erste Mal geheiratet, und zwar meine zukünftige Großmutter Anneliese Gehring. Die Geschichte wiederholte sich: Auch diese beiden hatten "nur" einen Sohn, der dann auch Maurermeister wurde: Mein Vater. Der hat von seinem Vater - im Gegensatz zu vielen anderen seiner Generation - auch tatsächlich etwas gehabt, denn Hermann hat den Zweiten Weltkrieg lebend überstanden. Wohin genau man ihn abkommandiert hatte, weiß ich allerdings nicht. Es wird Zeit, da noch ein bisschen zu forschen. 

Auch im mittleren Alter - die Frisur saß... 

Mit Annelieses Tod am 13. August 1962 wurde Hermann dann Witwer. Ich weiß nicht, ob er da schon ahnte, dass ihm auch nicht mehr allzu viel Zeit bleiben würde. 

Was ich aber weiß, ist, dass er vorher noch einmal geheiratet hat, nämlich die Frau, die ich als Kind noch als "Tante Erna" kennengelernt habe. In der Familie wurde erzählt, dass man sich auf der Hengstparade in Warendorf näher kennengelernt hatte, aber bestätigen konnte ich diese Annahme bis jetzt noch nicht. Um die genauen Daten dieser zweiten Hochzeit zu erfahren, musste ich auch tatsächlich im Personenstandsregister forschen, denn die beiden sind quasi "durchgebrannt" und haben sich am 14. September 1966 in Langenholzhausen trauen lassen. Angeblich soll ein alter Freund Hermanns dort Standesbeamter gewesen sein. 

Was dann folgte, war wohl eine der kürzesten Ehen in Werthers Geschichte, denn sie dauerte nur genau zwei Monate und 11 Tage. Am 25. November 1966 starb Hermann dort, wo er geboren worden war: Im Haus an der Engerstraße. Nur, dass es nun nicht mehr "Werther Nr. 203" hieß, sondern "Engerstraße 25". Er starb im Sessel sitzend an Herzversagen, mit nur 58 Jahren. 

Dienstag, 13. Juli 2021

Das Berufsrisiko des Hufschmieds

An Wilhelms Geburtstag kann ich einfach nicht anders; ich musste dieses Foto einfach nochmal posten. Nicht nur, weil mein Opa hier so lässig auf der Maschine sitzt, sondern auch, weil es eine Geschichte gibt, die in dieses Foto hereinspielt.
 
Wenn man genauer hinguckt, dann kann man erkennen, dass Wilhelms untere Gesichtspartie doch ein wenig angespannt aussieht, während der Rest von ihm doch ziemlich entspannt wirkt. Das lag an einem Arbeitsunfall...

Wilhelm hatte nach der Volksschule den Beruf des Schmiedes gelernt. Das passt auch zu ihm, vor allem, dass er auch als Hufschmied arbeiten konnte. Dass er Pferde (in seinem Duktus: Gäule) mochte, weiß ich noch aus meiner eigenen Erinnerung. Kurz bevor dieses Foto entstanden ist, hat sich einer dieser Gäule aber beim Beschlagen nicht ganz so kooperativ verhalten, wie Wilhelm es sich gewünscht hätte, im Gegenteil: Voll erwischt. Es ist leider nicht überliefert, wo genau sich diese Geschichte abgespielt hat. Ich kann mir auch nur ansatzweise vorstellen, wie weh das getan haben muss. Ich will's mir aber eigentlich auch gar nicht vorstellen. 

Ironischerweise wohne ich hier in einem Haus, das mal zu einer Schmiede gehört hat (das war aber erst, nachdem hier Steinkohle abgebaut worden ist). Von der eigentlichen Schmiede stehen zwar nur noch die Grundmauern, aber wir haben tatsächlich noch einen Amboss hier. Vor Jahrzehnten hat mal jemand versucht, das Ding zu klauen, aber die Herren sind nicht weit gekommen: Weil Schnee lag, konnte man ihre Fußspuren ohne großen Aufwand verfolgen, und weit sind sie auch nicht gekommen, weil so ein Amboss nunmal verflixt schwer ist. Ab und an wird dieser Amboss auch mal genutzt, von meinem Schwager und manchmal auch von meinem Mann. Irgendwie mag ich es, wenn dieses Klong-Klong-Klong zu mir 'rüberschallt... da schließt sich wieder ein Kreis. 


Dienstag, 8. Juni 2021

Schwiegermuttergift (Sterben in den 1950ern, Teil 2)

Für den geneigten Familienforscher ist es ja hilfreich, dass in den 1950ern durchgängig die Todesursachen (samt eventueller Nebendiagnosen) angegeben wurden. Außerdem kann man gleichzeitig noch seine Kenntnisse in Chemie, Medizin- und Kriminalgeschichte erweitern. 

Bei diversen Todesfällen fiel mir die Bezeichnung "E 605" auf. Mein Hirn, das sich im Grunde noch immer gegen jegliches Begreifen naturwissenschaftlicher Vorgänge sperrt (nach dem Motto, "ich weiß, dass Schwerkraft existiert, ich muss sie nicht auch noch erklären können") führte mich zunächst auf die falsche Spur. Mit E-Nummern, die wir heute als "Lebensmittelzusatzstoffe" kennen, hatte E 605 nämlich nur sehr periphär etwas zu tun, und dann auch noch in einem anderen Sinn. 

E 605 ist ein anderer Name für Parathion, ein hochwirksames InsektizidDas bedeutet, dass man Pflanzen damit behandeln kann, ohne dass sie absterben; die Insekten, die man loswerden will, bezahlen diese Aktion allerdings mit ihrem Leben. Entwickelt wurde E 605, das man entweder flüssig oder als "Staub" erwerben konnte, übrigens von Gerhard Schrader, einem deutschen Chemiker, der auch für das Nervengift Sarin verantwortlich zeichnete. Ab 1947 konnte man es in den USA kaufen, u.a. von Monsanto, und ein Jahr später kam es auf den deutschen Markt, vertrieben von Bayer. 

Der menschliche Organismus kann mit Parathion extrem schlecht umgehen; selbst das Einatmen kleinster Mengen kann schon zu schwersten Gesundheitsschädigungen führen, selbst wenn man draußen mit dem Zeug arbeitet und Blätter einstäubt. Darauf wurde auch ab 1949(!) auf den Verpackungen hingewiesen. 

Hinzu kommt, dass E 605 in seiner Reinform durchsichtig und fast völlig geruchslos ist, also perfekt, wenn man jemanden ohne seine Kenntnis ins Jenseits befördern will. Das dachte sich auch eine gewisse Christa Lehmann aus Worms, die sich auf diese Weise zuerst im September 1952 ihres eigenen Mannes (die Beziehung war wohl schon vorher von Alkohol und gewissen Gewalttätigkeiten geprägt) und dann im Oktober 1953 auch noch ihres Schwiegervaters entledigte. Zunächst dachte man noch, die beiden Herren seien eines natürlichen Todes gestorben. Auch die Mutter ihrer Freundin Annie Hamann mochte Frau Lehmann wohl nicht, denn Februar 1954 brachte sie den Hamanns Schokopilze vorbei, die eben nicht nur mit Likör, sondern auch mit E 605 gefüllt waren. Die alte Frau Hamann hatte, wie sich später herausstellte, dankend auf die Kalorienbombe verzichtet, aber Annie Hamann und ihr Hund starben qualvoll unter Krämpfen. Da hatte es die Falschen erwischt. Nun wurde auch die Polizei misstrauisch, die beiden Lehmänner wurden exhumiert, und Christa Lehmann wurde zu dreimal lebenslanger Haft verurteilt. Ungefähr 1977 wurde Frau Lehmann dann wieder auf freien Fuß gesetzt und bekam eine neue Identität. 

E 605 hatte mit diesem "sensationellen" Fall einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Man kannte es auch als "Wormser Gift" oder als "Schwiegermuttergift". Es wurde deshalb - später auch unter dem Namen E 605 forte - zu einem beliebten Mittel zur Selbsttötung. Das änderte sich auch nicht, als man beschloss, es fortan nur noch eingefärbt und mit einer starken Knoblauchnote versehen zu verkaufen. Aber so war immerhin die Tauglichkeit zum Mordwerkzeug erheblich eingeschränkt. 

Wie gesagt, in Werther habe ich einige Leute gefunden, die ihr Leben mit E 605 beendet haben, und zwar quer durch die Bank vom Polsterlehrling bis zur gestandenen Hausfrau mit Wechseljahrsmelancholie. Meine Mutter kann sich noch an eine Nachbarin meiner Großmutter in Halle erinnern, die eines Abends bei ihr vorbeischaute und sich danach vergiftete. Es war also ein Abschiedsbesuch gewesen, ohne dass meine Großmutter es gewusst hatte. Auch das könnte gut E 605 gewesen sein, zumindest würden die Symptome passen, und aus der Erzählung weiß ich, dass es ein fürchterlicher Tod gewesen sein muss. 

Heute ist E 605 in der EU verboten. Richtig so. Früher war eben nicht alles besser. 

Mittwoch, 2. Juni 2021

Wenn Sterbeeinträge aufs Gemüt schlagen (Sterben in den 1950ern, Teil 1)

Wenn ich mir Sterbeeinträge aus den 1950ern vornehme, dann merke ich richtig, dass mir das auf die Stimmung schlägt. Nicht nur, weil ich ständig neue Dateien anlegen muss, weil seit 1945 einfach viele neue Familien (oder das, was noch von ihnen übrig geblieben ist) in Werther aufgetaucht sind, sondern wegen der Todesursachen

Ich meine dabei noch nicht einmal die derjenigen, die im Krieg geblieben sind, auf dem "Rücktransport von der Krim in die Heimat" verstorben oder in irgendeinem russischen Lager an Unterernährung verreckt sind. So schlimm das alles auch ist (und das ist es), das waren eben die Folgen des Krieges (ob die Menschheit daraus was gelernt hat, wird sich zeigen). Ich bin 1973 geboren und damit in einer Zeit aufgewachsen, als die Spuren des Zweiten Krieges in meinem direkten Umfeld nicht mehr offensichtlich waren, zumindest für mich als Kind nicht. Jemand, der zum Beispiel in Berlin oder Dresden aufgewachsen ist, könnte das durchaus anders sehen. Diese Todesursachen sind gefühlt weit weg und haben nichts mit mir direkt zu tun. 

Nein, ich meine die Todesursachen, die mit der Zeit immer genauer diagnostiziert werden konnten. Diverse Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Beispiel. Während "früher" die Leute an "Schlagfluss" oder einem "Herzleiden" gestorben sind, sind es plötzlich Aneurysmen und dekompensierte Herzklappenfehler. Am schlimmsten finde ich aber, dass nun auf einmal auch da steht, welche Art von Krebs die Leute hatten und wohin er schon gestreut hatte. Und das steht bei erschreckend vielen Menschen da. 

Sprich: Es könnte heute genauso gut da stehen. Bei meinen Lieblingsmenschen oder auch bei mir. Die "früheren" Todesursachen sind praktisch verschwunden. Wer stirbt heute schon noch an Auszehrung, Frieseln, Kinderschrecken, Pocken oder Schwindsucht? Keiner, zumindest hier nicht. Da guckt man mit einer gewissen Distanz drauf. Aber Herzinfarkte, Schlaganfälle und die unzähligen Arten von Karzinomen? Da guckt man drauf und fühlt die Einschläge unweigerlich näherkommen. 

Und man freut sich über jeden, der einfach nur nach einem langen und hoffentlich erfüllten Leben an Altersschwäche gestorben ist. 


Mittwoch, 26. Mai 2021

Cefrisch bei Tante Erna

Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter mich Ende der 1970er ab und zu mal mitgenommen hat zu einem Besuch bei einer alten Dame (für mich waren damals alle über 35 "alt") in der Ziegelstraße in Werther. Diese "alte Dame" kannte ich als "Tante Erna". Die Ziegelstraße war nicht weit von uns, Luftlinie vielleicht 150 Meter. 

Worüber sich meine Mutter und Tante Erna unterhielten, interessierte mich damals eigentlich nicht besonders. Kein Wunder, ich war damals so zwischen 4 und 6, und "Erwachsenenkram" findet man in dem Alter ja einfach nur langweilig. Ich freute mich immer, dass es bei Tante Erna Cefrisch gab, denn zu Hause hatten wir es nicht.

Kennt jemand noch Cefrisch? 

gefunden bei www.erinnerstdudich.de

Man rührte Pulver in ein Glas Wasser und hatte dann etwas, das Orangensaft entfernt ähnelte. Je nach Konzentration nur viel süßer. Oder man ließ das Wasser weg und schleckte einfach nur das Pulver von einem Löffel... 

An den Geschmack kann ich mich auch heute noch erinnern, obwohl Cefrisch schon vor Jahrzehnten vom Markt verschwunden ist. Warum eigentlich? 

Tante Erna hatte Cefrisch immer im Glas, und wir saßen an ihrem Küchentisch. 

Damals hatte ich keine Ahnung, wer Tante Erna denn überhaupt war. Kein Wunder, damals nannte man ja quasi jeden Erwachsenen, mit dem man es zu tun hatte, "Tante" oder "Onkel", egal ob verwandt oder nicht. Erst Jahrzehnte später, als ich mit der Familienforschung anfing, ging mir ein Licht auf, und ich staunte nicht schlecht: 

"Tante" Erna war die zweite Frau meines Großvaters Hermann Schwentker gewesen. Weil Opa Hermann aber schon längst tot war, als ich zur Welt kam, habe ich sie nie als "Stiefgroßmutter", was sie ja technisch war, wahrgenommen. Außerdem habe ich sie ja auch nicht ständig gesehen, sondern halt nur ab und an. "Oma und Opa" waren (und sind) deshalb für mich immer noch die Eltern meiner Mutter, Martha und Wilhelm Sickendiek aus Halle (bzw. Hörste), die ständig präsent waren. Außerdem war Tante Erna vor der - auch noch ziemlich kurzen - Ehe mit Hermann auch schon einmal verheiratet gewesen und hatte selbst Familie. Und - nur der Vollständigkeit halber: Sooo alt war Tante Erna damals auch noch nicht - sie war in ihren 60ern. 

Im Laufe der Zeit wurden die Besuche seltener und schliefen dann irgendwann ganz ein. 

Erna ist 1995 gestorben. Schade, ich hätte sie eigentlich gerne über meinen Opa Hermann ausgefragt. 


Freitag, 16. April 2021

Bauer oder Landwirt?

Als jemand, der nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, stellt sich mir die Frage, ob diese beiden Begriffe deckungsgleich sind. Je mehr ich in den Sterbeeinträgen des 20. Jahrhunderts unterwegs bin, desto stärker hege ich den Verdacht, dass dem nicht so ist und mehr dahintersteckt. 

Ich habe also mal in meinem Umkreis rumgefragt. Und siehe da, so richtig sicher war sich da auch keiner. Es gab aber verschiedene Theorien, die ich jetzt einfach mal in den Raum stelle, ohne sie zu kommentieren: 

1. "Bauern waren eher "konservativ und national" eingestellt, Landwirte schon fortschrittlicher." 

2. "Bauern haben den Beruf von klein auf gelernt, Landwirte an irgendeiner Institution, Landwirtschaftsschule oder so. Und Landwirte legten mehr Wert auf den wirtschaftlichen Aspekt." 

3. "Kann es sein, dass Bauern generell mehr Tierzucht betrieben und Landwirte mehr Ackerbau? So wie Rancher und Farmer im Englischen?" 

4. "Bauer war der Oberbegriff, aber eigentlich ist das egal." 

Interessante Ansätze. Ich habe da auch meine Theorie, die nochmal aus einer anderen Ecke kommt: 

Kann es sein, dass sich die Colone später Bauern nannten und die Neubauern Landwirte? Dass die Berufsbezeichnung also von Alter und Größe des Hofes abhing? Und falls ja - warum war das so, warum musste man sich so abgrenzen? 

Und wenn ich meine Theorie so weiter spinne - ist das auch heute noch so? 

Montag, 29. März 2021

Werthers Kinder: Das Geburtsregister des Jahres 1910

Ich hatte mal wieder Lust auf ein bisschen Statistik. Und weil ich es ja nun geschafft habe, mir den Jahrgang 1910 aus dem Wertheraner Stadtarchiv zu ziehen, lag es nahe, meine Statistikspielereien aus den letzten Jahren fortzusetzen. Hier ist das Ergebnis: 

Es wurden insgesamt 143 im Geburtsregister eingetragen, 75 Jungen und 68 Mädchen. Ich habe das jetzt extra so formuliert, weil mir am Ende des Jares aufgefallen war, dass keine Totgeburten dabei waren, so dass ich noch einmal mit dem Sterberegister gegengecheckt habe, ob tatsächlich alle Kinder lebend zur Welt gekommen waren. Und siehe da - doch, es hat Totgeburten gegeben, nämlich 5, drei Jungen und zwei Mädchen. Die müsste man also eigentlich noch dazurechnen. Außerdem fand die letzte Geburt, die eingetragen wurde, schon am 19. Dezember statt, so dass ich fast vermute, dass da noch ein paar Kinder dazu gekommen sind, die ich dann aber erst nächstes Jahr im Register für 1911 finden werde. 

6 Kinder wurden unehelich geboren, und es gab auch wieder zwei Zwillingspärchen - einmal zwei Jungs, einmal Junge und Mädchen.

Was die Vornamen dieses Jahres angeht - hier ist die Verteilung:

Platz

Mädchen

Jungen

1

Marie (28)

Wilhelm (40)

2

Anna (20)

Heinrich (32)

3

Johanne (14)

Hermann (22)

4

Frida (13)

Friedrich (15)

5

Auguste (12)

August (14)

6

Luise (10)

Gustav (12)

Paul (12)

7

Helene (8)

Karl (6)

8

Wilhelmine (7)

Peter (5)

9

Erna (6)

Martha (6)


Franz (2)

Richard (2)

Julius (2)

Eduard (2)

Gottlieb (2)

10

Karoline (5)

Klara (5)

Albert (1)

Kasper (1)

Emil (1)

Diedrich (1)

Walter (1)

Otto (1)

Fridolin (1)

Arnold (1)

Erwin (1)

Arthur (1)

Ernst (1)

Werner (1)

Johann (1)

Erich (1)

Johannes (1)

Rudolf (1)

11

Paula (3)

Emma (3)

Else (3)

Friederike (3)

Alwine (3)


12

Margarethe (2)

Hanna (2)

Maria (2)

Katharine (2)

Elisabeth (2)


13

Alma (1)

Edith (1)

Irene (1)

Selma (1)

Henriette (1)

Gertrud (1)

Meta (1)

Anne (1)

Hanne (1)

Lieselotte (1)

Herta (1)

Frieda (1)

Grete (1)

Lina (1)

Minna (1)

Johanna (1)

Elfriede (1)

Liselotte (1)

Emilie (1)

Irmgard (1)


Es liegen wieder die üblichen Verdächtigen vorne. Und wieder war es so, dass die Eltern bei den Mädchen wesentlich kreativer waren als bei den Jungs. Ich meine sogar zu beobachten, dass die Schere immer weiter auseinander geht: Wenn von 75 Jungs 40 Wilhelm heißen, dann spricht das nicht wirklich für Individualismus. War der Kaiser denn wirklich so beliebt...?

Einer Sache bin ich noch nachgegangen: In den Randvermerken habe ich viele Hinweise zu den Sterbedaten gefunden. Nicht bei allen, aber bei den meisten. Das hier war die Generation, deren Väter im Ersten Weltkrieg waren, während sie selbst den Zweiten Weltkrieg ganz bewusst mitgemacht haben. Und der hat in diesem Jahrgang wirklich heftig zugeschlagen: Von den 75 Jungs hier sind mindestens 21 nicht zurückgekommen, sie sind also entweder direkt gefallen oder sie haben die Kriegsgefangenschaft nicht überstanden. Das sind 28 %, und ich hatte vorher noch nicht einmal die herausgerechnet, die schon im Kindesalter gestorben waren.

(Puh. Und wir beschweren uns, wenn wir wegen Corona keinen Einkaufsbummel machen sollen. Merkwürdige Welt.)


Freitag, 26. März 2021

Die Kinder, die im luftleeren Raum schweben

So nenne ich für mich die Kinder, die in den 1920ern gestorben sind und die ich ihren Familien - noch - nicht zuordnen kann, weil man aus irgendeinem Grunde dazu übergegangen ist, bei Minderjährigen die Eltern nicht mit einzutragen(!). Und das im 20. Jahrhundert! 

Irgendwie hat sich diese etwas umständliche Bezeichnung in meinem Kopf festgesetzt; ich kann gar nicht genauer erklären, warum. Denn sie schweben ja tatsächlich nicht im luftleeren Raum, sondern als Einzelpersonen durch Werthers Gedächtnis

Noch. 

Aber das soll sich in den nächsten Wochen ändern, jedenfalls bei den meisten. 

Wegen des Datenschutzes komme ich ja nun noch nicht an die Geburtseinträge heran. Bis die freigegeben werden, können noch gut und gerne 20 Jahre ins Land ziehen. Solange will ich aber eigentlich nicht warten... 

Ich muss also einen Umweg nehmen, und zwar über die Traueinträge

Traueinträge einarbeiten dauert immer eine gefühlte Ewigkeit: Die Familie neu anlegen, wenn ich sie noch nicht erfasst habe. Den Ehemann mit seiner Herkunftsfamilie verbinden, die Ehefrau auch. Jedenfalls, wenn beide aus Werther kamen. Die Trauzeugen eintragen und durchgucken (da ist ja vielleicht mal einer aus Werther abgängig und kann so wieder lokalisiert werden. Außerdem hat man dann auch meist den Rufnamen). Und nicht zuletzt unterschrieben die frisch gebackenen Ehegatten ja auch mit ihren Rufnamen, die man bis dahin auch nicht zwingend kannte. 

Dann sind da oft noch andere Daten in Randvermerken eingetragen, mal mit Stempel, mal ohne, mal mit falschem Stempel. Das sind die Sterbedaten der Ehegatten (sehr hilfreich, wenn sie zum Beispiel in Bielefeld gestorben sind) und auch ab und an mal andere Ehen. Aber auch die Kinder. Zwar meist nicht mit Namen, aber mit Geburtsjahr und - wenn man sich die Mühe macht, ganz genau hinzugucken - mit dem Sterbejahr, denn das ist oft nur ganz ganz fein mit Bleistift notiert. Spätestens in Verbindung mit dem Wohnort der Eltern kann ich dann viele Kinder aus ihrem luftleeren Raum herausholen und sie ihren Eltern "zurückgeben". 

Ist die Mühe wert. 

Dienstag, 16. März 2021

Die Ungeduld hatte ein Ende

Manchmal kommt mir dieser Spruch in den Sinn, "Patience is such a waste of time" - "Geduld ist eine solche Zeitverschwendung". Ungeduldig werde ich meistens aber nur, wenn es um Genealogie geht. Und den Ablauf von Sperrfristen. 

Ich konnte mir jetzt endlich im Stadtarchiv Werther die Geburten von 1910 ziehen (die ja am 01.01.21 in ihrer Gesamtheit frei geworden sind). Pandemiebedingt musste ich da ja ein bisschen länger warten, als mir lieb war. Ach, war schon schön, wieder im Herrenhaus zu sein... ;-) 

Freitag, 5. März 2021

Die Ortmeyers

Es wird Zeit, dass ich mich wieder einmal den Ortmeyers zuwende. 

Der Sterbeeintrag meiner Ur-Urgroßmutter Franziska Wilhelmine (genannt Minna) Ortmeyer (geb. Torweihe) im Haller Kirchenbuch von 1930 ist schon etwas besonders, jedenfalls wenn man sich anguckt, was denn bei den Hinterbliebenen steht: 

12 Kinder. 

Das sind auch alle, die sie hatte - jedenfalls soweit ich weiß. 

Im einzelnen waren das

Catharine Wilhelmine Martha, geb. am 27.11.1892

Caroline Wilhelmine, geb. am 14.06.1895

Heinrich August, geb. am 09.12.1896

Luise Catharine, geb. am 12.11.1898

Karl Wilhelm, geb. am 27.01.1900

Emma Catharine, geb. am 31.03.1901

Wilhelm August, geb. am 18.07.1902

Catharine Wilhelmine Ella, geb. am 09.02.1904

Friedrich Wilhelm, geb. am 24.05.1906

Heinrich August Erich, geb. am 03.08.1907 

Paul Friedrich Wilhelm, geb. am 30.04.1909

und 

Friedrich Emil Otto, geb. am 09.03.1911. 

Alle wurden im selben Haus geboren, nämlich in der Steinhauser Arrode Nr. 5 hier in Halle (Westf.). 

12 Kinder in 18einhalb Jahren. Wie organisiert man das alles, vor allem, wenn man ständig schwanger ist? Ich habe wahrscheinlich nur eine vage Vorstellung davon, wie todmüde sie abends immer ins Bett gefallen sein muss. 

Das erste Kind bekam Minna fünf Tage nach ihrem 24. Geburtstag, das letzte mit 43. Da war sie vier Jahre jünger als ich jetzt. Und alle zwölf Kinder haben sie überlebt, sie musste keins von ihnen begraben. Das ist schon etwas Besonderes in dieser Generation. 

Ich muss sagen, dass ich mit diesen ganzen Ortmeyers (oder Ortmeiers, manche schrieben sich später mit "i", andere mit "y") noch einige Probleme habe. Bei vielen weiß ich zwar, was ungefähr aus ihnen geworden ist, aber bei vielen fehlen mir noch die Todesdaten. Die meisten sind in oder um Halle herum geblieben. Deshalb - falls sich hier jemand angesprochen fühlt und mit noch Daten, Informationen und Fotos liefern kann - immer man her damit! 

Mittwoch, 24. Februar 2021

Eine Heiratsurkunde als Pandemie-Trostpflaster

Langsam komme ich in die Phase, in der mir die Pandemie auf die Nerven geht. Bis jetzt hatte ich eigentlich das Gefühl, ziemlich gut durchgehalten zu haben. Arbeiten aus dem Homeoffice? Mache ich eh seit 10 Jahren. Homeschooling? Fällt flach, wir haben Schildkröten. Ausgedehnte Shoppingtrips? Waren auch "vorher" nur die Ausnahme. 

Was mir langsam fehlt, ist der Austausch mit den Forscherkollegen. Und die Besuche in den Archiven! 

Wären dies "normale" Zeiten, denn hätte ich schon längst die Geburten des Jahres 1910 gepinnt und in Werthers Gedächtnis eingearbeitet. Wahrscheinlich würde ich jetzt über den Trauungen von 1940 sitzen und dabei den Ehemännern die Daumen drücken, dass sie aus diesem Scheiß-Krieg heile zurückkommen (was leider oft genug nicht der Fall war, die Randvermerke sprechen da eine deutliche Sprache). 

Aber nein, ich sitze hier und warte, bis der Lockdown mich wieder in der Teeküche des Herrenhauses in Werther arbeiten lässt. Grmpf. Ich kann's ja verstehen. Aber irgendwann brauche ich meinen Fix - "frische" Daten. Es ist nicht so, dass ich hier nichts zu tun hätte (im Gegenteil), aber... das ist wie bei den Kiddies, denen man ein Ü-Ei vor die Nase setzt und ihnen sagt, dass sie noch warten müssen. Nur ohne Schokolade. 

Eine Heiratsurkunde aus dem Jahr 1940 habe ich aber schon: Die von meinen Großeltern, Hermann Peter Heinrich Schwentker und Anna Karoline Anneliese Gehring. Nur, weil die Archive geschlossen sind, heißt das nicht, dass dort nicht gearbeitet wird... 

Hermann und Anneliese haben am 17. Mai 1940 in Werther geheiratet. Um konkreter zu sein: "Der Standesbeamte sprach im Namen des Reiches aus, daß sie nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien." Nun denn. 
Hauptsächlich interessierten mich aber zwei andere Dinge: Zum einen die Unterschriften (weil eigenhändig), und zum anderen wollte ich wissen, wer denn die Trauzeugen waren. Ich hatte mir schon gedacht, dass es die beiden Väter sein würden, weil ich wusste, dass beide 1940 noch am Leben waren, aber zwingend war das ja nun nicht. Aber tatsächlich: Da waren die beiden traditionell unterwegs: Uropa Hermann Schwentker musste seine Unterschrift in der dritten Zeile hinter das gerade abgelegte "Gehring" seiner Jetzt-Schwiegertochter quetschen, und "Wilhelm genannt August Gehring" brauchte auch wieder eine ganze Zeile. 

Wenn an diesen Nazi-Urkunden eins gut ist, dann die Tatsache, dass im II. Teil der Urkunde immer so ein kleiner Stammbaum war, so dass man die Daten der Eltern der frischgebackenen Ehegatten auf einen Blick erfassen kann. Mit Quellenangaben. Klar, wir wissen alle, welchem höllischen Zweck das diente, aber dem Familienforscher erleichtert das die Sache ungemein. 

Die Seiten drei und vier der Urkunde lasse ich hier mal weg, außer dem Vermerk, dass Hermann und Anneliese "deutschblütig" waren (bei dem Wort schüttelt es mich immer noch) und Hermann nach Annelieses Tod nochmal geheiratet hat, finde ich dort "nur" noch den Eintrag, dass mein Vater geboren worden ist. Keine weiteren Kinder, weder von Hermann, noch von Anneliese, aber das hätte mich auch sehr überrascht. 

Gut, das ist jetzt zwar noch kein richtiger Fix, aber immerhin ein Trostpflaster. 

(PS: Ja, ich weiß, dass ich als direkte Abkömmlingin der beiden Ehegatten die Sperrfrist nicht hätte abwarten müssen. Aber ich wollte immer erst andere Baustellen abarbeiten.) 


Donnerstag, 11. Februar 2021

Hilfe aus dem Homeoffice: Die "kleine Fingerübung"

Wir sind nach Sturmtief Tristan immer noch ziemlich eingeschneit hier. Der Blick aus meinem Fenster auf den inzwischen in der Sonne glitzernden Schnee ist als Ausgleich dafür zwar traumhaft, aber ich kann ja nicht den ganzen Tag am Schreibtisch verdösen, oder? 

Aus einer Spontanlaune hinaus habe ich beschlossen, mich der Schulte-Sippe aus dem Emsland zu widmen. Um das hier einmal einzuordnen: Die Großmutter meines Mannes war Maria Gesina Schulte. Ich wusste bislang nur, dass sie 1907 geboren war, aber der Geburtsort fehlte mir genauso wie die notwendige Information, wer denn ihre Eltern waren. Und wer schon mal im Emsland geforscht hat, der weiß, dass gefühlt drei Schulte-Kinder auf jeder Seite des Taufregisters stehen... außerdem sieht matricula-online.eu die Sache mit den Sperrfristen sehr, sehr eng: Für Taufen haben sie 120 Jahre angesetzt, und für Trauungen und sogar Sterbefälle glatt 100 Jahre. Ich persönlich finde das ein bisschen übertrieben, aber so isses nunmal. Ich bin ja froh, dass die Matriken überhaupt online sind, und das sogar noch umsonst. Das erspart mir so einige Fahrten nach Osnabrück und Unmengen an Parkgebühren. 

Aber ich schweife ab. 

Trotz der Schneeproblematik dachte ich mir, ich kann ja einfach mal im Diözesanarchiv in Osnabrück anrufen. Vielleicht hatte ja irgendwer den Schnee überlisten können und war aus dem Homeoffice zur "regulären" Arbeit geflüchtet? 

Nein. Es klingelte durch. Schade. 

Gerade, als ich überlegte, welche - andere - Forschungsbaustelle ich mir denn stattdessen vornehmen sollte, klingelte dann mein Telefon. Eine Vorwahl, die ich nicht wirklich zuordnen konnte, die aber irgendwo aus der Osnabrücker Ecke kommen musste, weil sie mit Null-Fünf-Vier-Irgendwas begann. Am anderen Ende der Leitung: Ein sehr netter Mensch aus dem Archiv, der in seinem Homeoffice saß. Ich schilderte ihm mein Problem und versicherte ihm vorsichtshalber noch, dass irgendwo in seinem Archiv auch noch eine Vollmacht liegen musste, die meine bessere Hälfte mir mal unterschrieben hatte. Er sagte (ich konnte sein Grinsen quasi hören), dass er sich über die "kleine Fingerübung" freue, und nach nicht allzu langer Zeit hatte ich dann tatsächlich die Info, die brauchte, um weiterzukommen: 

Hermann Heinrich Schwarte und Maria Gesina Schulte haben 1933 geheiratet, und sie kam aus Oberlangen. Ihre Eltern waren Bernhard Heinrich Schulte und Maria Angela Jänen. 

Damit war mein Tag gerettet - und ich hatte einen guten Grund, mich vor dem Schneeschieben zu drücken. 

Manchmal kann es so einfach sein... warum habe ich den Teil des Stammbaums eigentlich geschlagene vier Jahre(!) brach liegen lassen?! 


Montag, 8. Februar 2021

Der Beleg, dass man sich über Rechnungen auch freuen kann

In Werther scheint es sich inzwischen herumgesprochen zu haben, dass ich da so ein gewisses Faible für Familienforschung habe. Ab und an passiert es dann, dass jemand zu meiner Sammlung das eine oder andere Fundstück beitragen kann. 

Letzte Woche war das der Fall. Ich bekam ausnahmsweise mal zwei Rechnungen, über die ich mich wirklich von ganzem Herzen gefreut habe. Nicht nur, weil ich sie nicht selbst bezahlen muss, sondern auch, weil ich allen Ernstes zum ersten Mal die Unterschrift meines Großvaters Hermann Schwentker gesehen habe (jedenfalls, soweit ich mich erinnern kann). 

Die erste dieser beiden Rechnungen bringt uns zurück ins Jahr 1953. Damals gab es zwei Hermann Schwentkers, Vater und Sohn. Der eine, Hermann Heinrich, war mein Urgroßvater, und der andere, Hermann Peter Heinrich, war mein Großvater. 1953 lebte Uropa noch (er starb erst vier Jahre später, 1957), aber das Tagesgeschäft führte Grunde Opa Schwentker. Ich weiß gar nicht, ob die Firma zu Uropas Lebzeiten von ihm auf seinen Sohn umgeschrieben worden ist, so dass ich im Grunde gar nicht sagen kann, welcher Hermann im Briefkopf gemeint ist. Auf jeden Fall war es aber Hermann junior, der den erhaltenen Betrag quittiert hat. Mit Füller! 
Auf der Rückseite (ja, man sollte immer auch auf die Rückseiten gucken!) findet sich dann noch eine kurze Anmerkung, dass für neun Maurerstunden 22,55 DM abgezogen worden sind. Wäre Opa da ganz korrekt gewesen, dann hätte er vier Pfennig mehr abziehen müssen... sehen wir's ihm nach, vielleicht sind die vier Pfennig ja in der Kaffeekasse gelandet. Die Maurerstunde kostete 2,51 DM, ein Sack Zement immerhin 4,20 DM. 

Die zweite Rechnung bringt uns ins Jahr 1965. Hermann senior war schon acht Jahre tot, und auch Hermann junior sollte nur noch etwas mehr als ein Jahr zu leben haben. Inzwischen zog der Rechnungsempfänger (es war derselbe, der auch die erste Rechnung bekommen hat, aber ich habe den Namen hier unkenntlich gemacht) es augenscheinlich vor, größere Beträge per Überweisung zu bezahlen. Man kann es ihm nicht verdenken. Das ist aber nicht der einzige Unterschied: Nicht nur, dass der Sack Zement tatsächlich ganze 20 Pfennig billiger geworden war (er kostete jetzt nur noch 4,- DM), auch der Briefkopf hat sich verändert. Der jetzt etwas dicker gedruckte Hermann im Briefkopf war nun definitiv mein Opa, und die "Zementwarenfabrikation" war durch "Betonwarenfabrikation" ersetzt worden. Am Warenangebot als solchem dürfte sich aber wenig geändert haben; ich kann mich selbst noch daran erinnern, dass ich hinterm Haus in der Halle stundenlang dabei zugeguckt habe, wie die Stürze gegossen wurden. Aus dem "Fernsprecher Nr. 446" war der "Fernruf 446" geworden, und inzwischen reichte es wohl nicht mehr aus, nur die Bank anzugeben, wenn man Geld auf seinem Konto gebucht haben wollte. Außerdem hatte Werther inzwischen auch seine eigene Postleitzahl, die 4806. 

Alles in allem scheint die Buchhaltung damals aber noch einfacher gewesen zu sein als heute - es gab noch keine Umsatzsteuer (die kam erst zum 01.01.1968, und damals auch "nur" mit 10 Prozent), und mit fortlaufenden Rechnungsnummern musste man sich auch nicht herumschlagen. Das waren noch Zeiten...! 



Montag, 9. November 2020

Werther, im November 1938

Mit dem 9. November tue ich mich immer ein bisschen schwer, und erst recht mit dieser Bezeichnung "Schicksalstag der Deutschen". Das klingt so fatalistisch, als käme man nicht gegen aktuelle Geschehnisse an und könne nichts selbst beeinflussen, was ich einfach nicht glauben kann und will. Dass sich einzelne Ereignisse just an diesem Tag im Kalender so kumulieren, halte ich für einen ziemlichen Zufall, wenn man mal die Verbindung zwischen gescheitertem Putsch in München und der Pogromnacht rausnimmt. Dass die Mauer ausgerechnet am 9. November fiel, hat damit jedenfalls datumsmäßig ziemlich wenig zu tun. 

Ich kann mich noch an einen 9. November erinnern, an dem ich (damals noch als Teenager zu CVJM-Zeiten, also wirklich lange her) bei der Mahnwache auf dem Jüdischen Friedhof oben an der Egge war. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich den Friedhof seitdem nicht mehr betreten habe. Ich war auch noch nie auf dem jüdischen Friedhof hier in Halle (Westf.). Ich rede mir ein, dass es hauptsächlich daran liegt, dass beide verschlossen sind, wobei ich schlimm finde, dass es auch in heutigen Zeiten einen Grund dafür gibt, dass sie anscheinend verschlossen sein müssen. 

Trotzdem - der 9. November 1938 war der Tag, an dem alle spätestens hätten wissen müssen, dass da etwas sehr, sehr Ernstes vor sich geht. Dafür war die Gewalt zu offensichtlich. 

In Werther gab es - im Gegensatz zu Halle - damals noch eine Synagoge, die zwar nicht zerstört, aber schlimm verwüstet wurde. Das Gebäude selbst existiert nicht mehr. Die Wertheraner Thorarolle gibt es noch; sie wird inzwischen in der Synagoge in Bielefeld an der Detmolder Straße im Thoraschrank aufbewahrt, was ja nun auch keine Selbstverständlichkeit ist. 

Die Synagoge in Werther, Quelle: www.geschichtsportal-werther.de

Ja, auch im kleinen Werther (Werther-Stadt hatte damals so an die 2.600 Einwohner) spielten sich unschöne Szenen ab, wenn auch erst mit einem Tag Verspätung. Das Textilgeschäft Weinberg, mitten im Ort an der Ravensberger Straße gelegen, wurde zur Zielscheibe, noch bevor man sich der Synagoge widmete. Fünf jüdische Männer, Hugo Alexander, Julius Weinberg, Philipp Sachs, Max Sachs und Julius Sachs, wurden verhaftet und teilweise ins KZ überstellt. 

In Werther gibt es heute einen sehr aktiven Arbeitskreis Spuren jüdischen Lebens in Werther, der die Vorgänge damals aufbereitet hat. Auch die Erinnerungen des damaligen Amtmanns Ellerbrake sind erhalten und transkribiert. Zusammen mit anderen Zeitzeugeninterviews findet man sie im Geschichtsportal Werther. Hier ist der Link zur Übersichtsseite. 

Wenn ich Wilhelm Ellerbrakes Erinnerungen so lese, dann kann ich mir bildlich vorstellen, wie es im November 1938 in Werther zugegangen ist, auch wenn diese Erinnerungen erst später niedergeschrieben wurden und deshalb immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen sind. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie die Wertheraner in der Ravensberger Straße standen und guckten, was bei Weinbergs passierte. 

Worüber ich gestolpert bin ist die Tatsache, dass sich viele anscheinend mehr darüber aufgeregt haben, dass die Nazis Kinder zum Zerstören angestachelt haben, als über den Akt der Zerstörung selbst - da frage ich mich doch automatisch, wo denn in der Zeit ihre Eltern waren... haben die einfach nur zugeguckt? 

Ja, es waren andere Zeiten damals. Hoffe ich. Obwohl - auch heute muss man genau gucken, wer denn auf der Demo direkt neben einem läuft. Sonst lässt man sich genauso instrumentalisieren wie die Zuschauer damals... 



Freitag, 16. Oktober 2020

Die A.-H.-Straße ... und mein Widerwille

Das ist der Haken, wenn man in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts unterwegs ist - man stolpert über unschön veränderte Straßennamen. Da wurde in Werther zum Beispiel aus der Bielefelder Straße die A.-H.-Straße, benannt nach der Person, die sich seinerzeit als "Führer" feiern ließ, in Wirklichkeit aber nichts anderes war als ein Verbrecher. Die Schloßstraße wurde nach dem Medikamentenabhängigen mit den Fantasieuniformen benannt, warum auch immer. 

Die (Alte) Bielefelder Straße (Quelle: www.geschichtsportal-werther.de)

Und nun sitze ich hier und frage mich, wie ich das in Werthers Gedächtnis verarbeiten soll, denn nach den "dunklen Zeiten" wurden die betreffenden Straßen ja ziemlich schnell wieder in ihre ursprünglichen Namen unbenannt. Komplett ignorieren kann ich diese zwölf Jahre aber nun auch nicht; zumindest habe ich das Gefühl, dass das der Geschichte nicht gerecht werden würde. Ich denke mal, dass ich den eigentlichen (= ursprünglichen und dann wieder eingeführten) Straßennamen verwenden und den anderen in Klammern setzen werde. 

Trotzdem, beim Abpinnen aus den Registern sitze ich da und habe schon einen richtig körperlich spürbaren Widerwillen, diese Straßennamen auszuschreiben. Meine Hand will die vollen Namen einfach nicht aufs Papier bringen... und tippen will ich sie eigentlich auch nicht. 

Ich habe mich also entschlossen, es zu lassen, und mit Abkürzungen zu arbeiten. AH und HG. Wenigstens hat man die Ravensberger Straße, die gefühlt am "bewohntesten" war, Ravensberger Straße sein lassen - das erleichtert mir das Leben schon mal ungemein. 

Da fällt mir ein: Falls ich irgendwann mal Halle (Westf.) in Angriff nehmen sollte, stünde ich da aber vor einem neuen Problem - hier in Halle hatten wir ausgerechnet die "Straße der SA"... 

Dienstag, 6. Oktober 2020

Von Forschern und Buchhaltern

Eine Freundin von mir ist Buchhalterin und, soweit ich das mit meinen bescheidenen Buchhaltungskenntnissen beurteilen kann, eine gute. Ab und zu lädt sie ihren Frust bei mir ab, wenn ihre lieben Kollegen mal wieder Buchungen auf Konten gezaubert haben, die da eigentlich so nicht hingehören. Irgendwann fällt immer ein bestimmter Satz: 

"Ich hab' halt gerne meine Konten schön." 

Ich kann's verstehen, denn im Grunde geht es mir mit Stammbäumen genauso. 

Mich nerven keine falschen Buchungen, aber lose Enden. Ich weiß, dass viele Forscher beim Gedanken an die letzten 120 Jahre abfällig grinsen, weil sie Forschung eigentlich erst ab dem 18. Jahrhundert rückwärts so richtig Ernst nehmen, aber ich finde das verfehlt. Wir haben alle Familien, bei denen diverse Leute im 19. Jahrhundert geboren und im 20. Jahrhundert gestorben sind - alleine bei mir im Stammbaum sind das ein paar Hundert Leute. Aber es kann halt gut sein, dass jemand, der 1860 geboren wurde, noch gelebt hat, als die unsäglichen Nazis an die Macht kamen. Es ist auch erstaunlich, welche Heiraten man noch findet, wenn man nur danach sucht, denn das Familiengedächtnis ist bei den meisten Familien halt relativ kurz. 

Ich bin deshalb gerne in den Personenstandsregistern des 20. Jahrhunderts unterwegs. Klar, wir freuen uns alle, wenn wir "neue" Vorfahren im 17. Jahrhundert und davor entdecken, aber das sollte nicht dazu führen, dass wir die anderen, die später gelebt haben, weniger wichtig nehmen. Im Klartext: Ich habe lieber einen kleinen, aber gut recherchierten und mit Quellen unterlegten Stammbaum als einen riesigen mit 60.000 Lücken. 

Ich hab' halt gerne meinen Stammbaum schön.. 

Dienstag, 15. September 2020

Werther 203 und seine rätselhaften Bewohner

 Falls sich jemand fragt, warum meine E-Mail-Adresse ausgerechnet "werther203"[at]gmx.de ist - hier ist des Rätsels Lösung. Das hier ist das "Original" - Werther Nr. 203: 

Für die alten Wertheraner: Es ist das Haus zwischen Delius und dem Kippskrug. Heute Engerstr. 57. Das alte Delius-Gebäude, in dem heute die Kartbahn ist, kann man am linken Bildrand noch erkennen. 

Ja, das Haus hat sich verändert. Heute ist es rot verklinkert und kaum noch wiederzuerkennen, aber die alte Substanz ist noch da. Das kommt davon, wenn man Maurermeister als Vorfahren hat - die bauen auch schon mal das eigene Haus um, modernisieren und erweitern es. Der Eingang zum Beispiel ist heute auf der Rückseite des Hauses, weg von der Straße. Trotzdem kann ich einiges wiedererkennen. Wo das Fenster unten links ist, hatte ich früher mein Kinderzimmer. Als es im Kippskrug 1985 wieder einmal brannte, hat die Feuerwehr den Hydranten direkt vor meinem Fenster angezapft - und ich habe es glatt verschlafen... 

Das Foto hier muss aus der Zeit des Ersten Weltkriegs sein, und ich habe Probleme damit, die Leute auf dem Foto zu identifizieren. Ich bin mir sicher, dass der Mann in Schwarz in der Mitte mein Uropa Hermann Heinrich Schwentker ist, der das Haus auch gebaut hat. Rechts müsste seine Frau Marie Elisabeth (geb. Heidemann) mit einer der Töchter auf dem Arm stehen. Ganz genau kann ich das nicht sagen, aber ich nehme es an, weil Uropa ihr zugewandt ist und nicht der Frau links neben ihm. Zwischen Uropa und Uroma stehen ihre Kinder, und damit gehen die Probleme nun los... 

Ich sehe bei dieser Schwentkerschen Kernfamilie insgesamt sieben Kinder. Sie hatten aber nur sechs. 

Der Lütte mit dem schwarzen Hut links neben seiner Mutter ist zwar leicht zu übersehen, müsste aber mein Opa Hermann Peter Heinrich in jungen Jahren sein. Und dann sind da fünf Mädchen, adrett mit Schürze. Die älteste müsste wohl Großtante Marie sein, die einzige auf dem Foto, die ich noch gekannt habe bzw. an die ich mich noch erinnern kann. Dann waren da noch Luise, Alma, Lisbeth, und Erna. Trotzdem können die nicht alle auf dem Foto sein, weil Alma schon 1911 gestorben ist, Erna aber erst 1915 geboren wurde. Und wer bitte schön ist der Knirps, der da vor einer der Schwestern (vor der rechts neben Marie) steht und sie halb verdeckt? 

Wie ich es auch drehe und wende, ich habe zwei überzählige Kinder. Einen Jungen und ein Mädchen. Man könnte jetzt meinen, dass ich die beiden einfach noch nicht gefunden habe, weil ich die Geburten ab 1910 noch nicht einsehen konnte. Das kann aber auch nicht sein, weil ich eine vollständige Kopie des Familienbuches habe, und da stehen halt nur insgesamt sechs Kinder drin - Opa und seine fünf Schwestern. 

Hmmmm. 

Die nächste Frage ist - wer sind die anderen Personen auf dem Bild? Der Mann links und die Frau in der Mitte mit dem (weiteren) Kind scheinen nicht zusammen zu gehören, dafür stehen sie ein bisschen zu weit auseinander. Das Kind scheint jedenfalls zu der Frau zu gehören, die auch noch verhältnismäßig jung aussieht. Wer ist das? 

Es ist schade, dass das Foto pixelig wird, wenn man es auf dem Bildschirm vergrößert, denn so kann ich leider nicht lesen, was auf dem Schild an der Hausecke stand. Ich habe auch keine Ahnung, wie lange dieses Schild da gehangen hat. Das könnte gut bis Mitte des letzten Jahrhunderts der Fall gewesen sein. Vielleicht gibt es ja noch ein paar alte Wertheraner, die sich erinnern können...? 

Fragen über Fragen. 

Freitag, 7. August 2020

Der Soldatenfriedhof von Cambrai (Frankreich, Teil 1)

Im letzten Jahr hatte ich mir ja für Werthers Gedächtnis die Sterberegister aus dem Ersten Weltkrieg vorgenommen. Diese ganzen Ortsnamen, die einem auf Anhieb nicht allzu viel sagen. Valenciennes, Cambrai, Amiens, ... 
Wenn man von OWL aus startet, dann kommt man über Köln und Belgien in unser Nachbarland hinein, und nicht allzu weit hinter der belgisch-französischen Grenze liegen Valenciennes und Cambrai dann an der (französischen) A2. Bis jetzt waren wir auf dem Weg nach Paris nur daran vorbeigefahren, aber dieses Jahr haben wir auch angehalten: An der Route de Solesmes in Cambrai. 

Einen richtigen Parkplatz gibt es zwar nicht, aber am Straßenrand ist genug Platz - zumal wir an diesem warmen Sommerabend die einzigen Besucher auf dem ganzen Gelände waren. 


Die Jahreszahlen täuschen ein bisschen, denn tatsächlich wurde der Friedhof von den deutschen Besatzern erst im März 1917 eingerichtet - der alte Friedhof Porte de Paris in der Stadt Cambrai reichte einfach nicht mehr aus. 

Wenn man zum Haupttor hineingeht, dann läuft man direkt auf ein Mahnmal zu. Viel kann man noch nicht erkennen. 
Man kommt immer näher... 
... und näher... 


... und steht vor einem Zitat von Goethe. Oder eigentlich vor zweien, denn auch wenn mein Französisch wirklich grottig ist (zwei Jahre in der 9. und 10. Klasse, mon dieu), so ist mir doch klar, dass der französische Teil unten keine wörtliche Übersetzung des deutschen Textes oben ist. Ich lese da etwas von großen ewigen und unsterblichen Gesetzen, die den Lauf und das Ende unser aller Existenz bestimmen. Reimt sich zwar nicht so schön wie die deutsche Fassung, aber trotzdem finde ich die französische Variante irgendwie gelungener. Man muss nicht immer Metaphern benühen, um klarzumachen, worum es geht. Rührend fand ich aber das hier. Weil es zeigt, dass es Leute gibt, denen solch ein Ort wichtig ist. Im Innenkreis des Denkmals gibt es so eine Klappe, die man öffnen kann. Neugierig, wie ich bin... Warum hatte ich mir schon so etwas gedacht? Ansonsten sieht man nur Grabsteine. 
Und noch mehr Grabsteine. 
Man sollte ich nicht täuschen lassen - da liegt nicht immer nur einer. Die meisten dieser Steine tragen zwei oder sogar auch drei Namen. Insgesamt sind hier 10.685 deutsche Soldaten begraben. 

Das liegt daran, dass Cambrai seit 1914 von den Deutschen besetzt war, also rund drei Jahre. Hindenburg hatte hier sein Hauptquartier. Cambrai war als Eisenbahnknotenpunkt strategisch wichtig, und das war wohl auch einer der Gründe, weshalb es hier zwischen dem 20.11.1917 und dem 06.12.1917 zur ersten großen Panzerschlacht der Geschichte gekommen ist. 

Ein paar Grabsteine haben keine Kreuzform, sondern sind nach oben hin abgerundet. Hier liegen deutsche Soldaten jüdischen Glaubens. Man konnte damals also sehr wohl Rasse und Religion auseinanderhalten. 
Ich weiß ja, dass auch einige von "meinen" Wertheranern hier liegen. Aber wir sind nicht jede Reihe abgegangen. Es sind einfach zu viele. 
Es gibt auch solche Gräber: Die, bei denen man den Toten nicht mehr identifizieren konnte. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wieviele Jahre die Angehörigen dieser Herren in Ungewissheit gelebt haben, obwohl ihr Vater, Bruder, Sohn oder Ehemann schon längst hier begraben war. 
Quasi "mittendrin" findet man dann auf einmal zwei Reihen mit Holzkreuzen. Hier liegen 192 russische Soldaten, die an der Seite der französischen Armee gekämpft haben. 
Noch ein Stück weiter kommt man dann zu diesen Gräbern, die nochmal etwas anders aussehen: 
Hier ruhen 502 Soldaten des Commonwealth, die meisten aus England. Ihre Grabsteine sind am aufwändigsten gestaltet, mit den Wappen der jeweiligen Regimenter. Schlimm war es, auf die Daten zu gucken: Viele von denen, die hier begraben sind, sind in der letzten Kriegswoche gefallen. Ich habe diverse Steine mit dem Sterbedatum 11.11.1918 gesehen. Da atmet man erstmal tief durch. 
Kann man sich eine solche Inschrift für einen deutschen Soldaten vorstellen? Mit dem Wissen, wie die deutsche Geschichte weiterging, muss man diese Frage wohl verneinen. Aber trotzdem musste ich doch schlucken, als ich den Spruch hier gelesen habe. 

Bei der Schlacht um Cambrai sind aber nicht nur diese 502 Soldaten umgekommen. Nicht weit entfernt in Louverval befindet sich noch eine Kriegsgräberstätte, und da liegen noch einmal 7.048 Briten begraben. 

Bemerkenswert finde ich, dass diese Kriegsgräberstätte von Anfang an als "gemeinsamer Friedhof für Freund und Feind" gedacht war und man sich auch daran gehalten hat, obwohl die Deutschen Cambrai ziemlich verwüstet hinterlassen haben - von den rund 2.500 Gebäuden, die Cambrai bei Kriegsbeginn hatte, waren ungefähr 1.500 am Ende komplett zerstört. Trotzdem, mein erster und mein letzter Gedanke hier war derselbe: 

"Ihr solltet alle nicht hier sein."