Meine Schwentkers haben keine Grabsteine. Weder meine Urgroßeltern, noch meine Großeltern, und auch mein Vater nicht. Das wird sich auch nicht ändern.
Die Ironie ist, dass unser "Familiengrab", wenn man es denn so nennen will, auf dem Wertheraner Friedhof direkt am Hauptweg liegt, im Grunde nur einen Steinwurf von der Kapelle entfernt. Soll heißen: Die meisten Beerdigungszüge müssen an den Schwentkers vorbei. Und das ist auch der Grund für den fehlenden Grabstein:
"So macht man keine Werbung."
Immerhin waren meine Schwentkers drei Generationen lang als Maurermeister mit einem Baugeschäft selbstständig. Ich bin mir sicher, dass es Leute gibt, die diese "Marketing-Chance" genutzt hätten. Aber eben nicht bei den Schwentkers. Und ich find's richtig.
Die andere Ironie ist, dass ich trotz dieses "fehlenden" Grabsteins tatsächlich einen Lieblings-Grabstein habe, auch wenn das morbide klingt. Dieser Grabstein hat mich einfach sprachlos gemacht, als ich ihn vor ungefähr 20 Jahren zum ersten Mal gesehen habe. Er steht auch nicht auf dem Wertheraner Friedhof, nein, noch nicht einmal auf einem klassischen Friedhof: Es handelt sich um eins der Waldbegräbnisse hier in Halle.
Diese Waldbegräbnisse entstanden ab 1811, und im Grunde ist hier die Haller Oberschicht begraben. Also diejenigen, die in der Stadt etwas zu sagen hatten, sei es als Bürgermeister oder als Kaufleute. Der Haller Friedhof um die Kirche herum war damals so überbelegt, dass man mit langen Stöcken stochern musste, um noch ein Plätzchen für den frisch Verblichenen zu finden, also wich man an den Hang des Teutoburger Waldes aus, wenn man es sich denn leisten konnte. Während man den Haller Kirchplatz nicht mehr als Friedhof erkennen kann (wer ganz genau hinguckt, der merkt, dass er ein klein wenig höher liegt als die Straßen drum herum...), sind die Waldbegräbnisse noch erhalten.
Der Grabstein, den ich meine, befindet sich am Lotteberg und gehört zu Helene Charlotte Potthoff (geb. Brinkmann). Ich habe sowohl Potthoffs als auch Brinkmanns in meinem Stammbaum, aber eine Verbindung zu ihr habe ich zugegebenerweise noch nicht gefinden. Helene Charlotte hat von 1795 bis 1828 gelebt; sie ist drei Tage nach ihrem 33. Geburtstag gestorben. Geheiratet hat sie aber schon sehr früh, mit sechzehn, und die Inschrift auf dem Stein lautet dann auch:
"16 kurze Jahre warst du geliebtes Weib mein Glück und meine Ehre."
Wow.
Außendarstellung hin oder her (auch damals sagten Grabsteine schließlich etwas aus, wahrscheinlich sogar noch mehr als heute): Das hätte man auch schlichter schreiben können. "Mein Glück und meine Ehre". "16 kurze Jahre". Viele Ehen, damals wie heute, dauern noch nicht einmal halb so lange. Aber die Zeit fliegt ja, wenn man glücklich ist. Mir ist schon klar, dass man damals nicht primär aus Liebe heiratete, aber vielleicht... da schlägt tatsächlich die ansonsten gut versteckte Romantikerin in mir durch.
Wer sich diesen Grabstein einmal angucken möchte, der muss sich noch nicht einmal selbst an den Lotteberg begeben, denn wir leben ja schließlich nicht mehr im 19. Jahrhundert. Man kann ihn sich im Netz angucken, und zwar
Die Grabsteine sind nämlich im Rahmen des Grabstein-Projekts der CompGen katalogisiert und ins Netz gestellt worden. Betreuender Verein in diesem Fall ist die AG Familienforschung Kreis Herford.
Trotzdem, die Waldbegräbnisse sind einen Spaziergang wert. Die Haller Zeiträume haben einen Geschichtspfad eingerichtet, den ich durchaus empfehlen kann...
Bin ich eigentlich merkwürdig, weil ich einen Lieblings-Grabstein habe?!