Eins habe ich beim Forschen gelernt: Geduld. Manchmal muss man sich durch Jahrzehnte und Jahrzehnte von Unterlagen wühlen, und dann findet man doch nicht das, was man eigentlich gesucht hatte... aber dafür etwas völlig anderes!
So ging es mir neulich in im Landesarchiv in Detmold. Ich ging die Sterbefälle von Werther durch, weil ich da noch einige Lücken im Stammbaum habe, was die letzten 110 Jahre angeht. Es ist aber auch frustrierend, dass die entsprechenden Kirchenbücher nur bis einschließlich 1904 einzusehen sind!
Ich saß also da und blätterte mich, mit Papier und Bleistiften bewaffnet, durch dieses Mal Gott sei Dank nicht ganz so staubige Unterlagen, die auch noch ziemlich gut zu lesen sind, und achtete auf Namen, die mir irgendwie im Zusammenhang mit meinem Stammbaum bekannt vorkamen. Was im übrigen ziemlich viele sind.
Und plötzlich sehe ich den Sterbeeintrag für einen totgeborenen Jungen.
Und die Namen der Eltern: August Gehring und Karoline Plessner. Meine Urgroßeltern.
Der totgeborene Junge war der Bruder meiner Oma Anne und damit mein Großonkel.
Von denen, die noch leben, hatte keiner eine Ahnung, dass dieser kleine Wurm, der augenscheinlich noch nicht mal einen Namen hatte, überhaupt jemals existiert hatte. Er kam am 4. Mai 1920 zu Hause in Häger 33 zur Welt, ungefähr ein Jahr vor seinem Bruder Fritz, den ich noch gekannt habe, und ungefähr dreieinhalb Jahre nach seinem Bruder Helmut, der 1942 in Russland gefallen ist.
Zwar war mir die Lücke zwischen Helmut und Fritz aufgefallen, aber ich habe sie vielleicht unbewusst auf die Kriegszeiten geschoben oder Fritz einfach für einen vielleicht unerwarteten Nachzügler gehalten, was ja immer mal vorkommt. Zwei andere Söhne, die früh gestorben sind, waren schließlich auch im Familiengedächtnis geblieben, so dass ich gedacht hatte, dass ich die Kinder der Familie vollständig erfasst hätte.
Falsch gedacht.
Als mein unbenannter Großonkel zur Welt kam, war meine Großmutter neun Jahre alt. Sie dürfte also genau mitbekommen haben, was damals passiert ist. Trotzdem war dieses Kind in meiner Familie völlig unbekannt.
Es ist schon erstaunlich, wie kurz das Familiengedächtnis manchmal ist.
Und nun frage ich mich natürlich, ob die Lücke zwischen Helmut und seinem kleinen Bruder tatsächlich eine Lücke ist oder ob es noch ein Kind zwischen den beiden gab.
Aber so ist es eben: Da hat man die Antwort auf eine Frage gefunden, von der man noch gar nicht wusste, dass man diese Frage hätte stellen sollen, und schon tun sich neue Fragen auf. Man weiß eben nie, wo die Forschung einen hinbringt.
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