Freitag, 17. Juni 2022

"Wie soll das Kind denn heißen?" - "Keine Ahnung..."

 ... so oder so ähnlich wurden einige Dialoge in den Standesämtern des ausgehenden 19. Jahrhunderts geführt. Heute kaum vorstellbar, oder? 

Im Moment bin ich gerade dabei, die standesamtlichen Geburtseinträge von 1886 in Werthers Gedächtnis einzuarbeiten, und schon im ersten Drittel dieses Jahres habe ich ein gutes halbes Dutzend Kinder gefunden, denen "noch kein Vorname beigelegt" war, als Vattern bei Amtmann Mensing vorstellig wurde, um anzuzeigen, dass es Nachwuchs gegeben hatte. 

Damals "bekamen" Kinder ja keine Vornamen, sie wurden ihnen "beigelegt". Aber halt nicht unbedingt sofort. Hauptsache, bis zur Taufe war die Namensfrage geklärt. Meist so einen Monat nach der Geburt war dann auch der zweite Besuch beim Amtmann fällig, mit der Folge, dass man einen ziemlich langen Randvermerk neben dem eigentlichen Geburtseintrag findet, in dem dann festgehalten ist, für welche(n) Namen man sich denn nun zwischenzeitlich entschieden hatte. Aber zur Not konnte man das Kind inoffiziell ja immer noch ganz anders nennen als beim Standesamt angegegeben... (wofür mein eigener  Urgroßvater ein gutes Beispiel ist.) 

Heute läuft das anders. Da nimmt man - zumindest in den allermeisten Fällen - keine Namen aus der Familie mehr, jedenfalls nicht als Rufname, und der Name steht schon Wochen bzw. Monate vor der Geburt (oder sogar schon vor der Zeugung!) fest, wobei die wenigsten werdenden Eltern damit vor der Geburt herausrücken (warum eigentlich nicht?). Und wenn man sich nicht untereinander einigen kann oder weil man gleich mehrere Namen so schön findet, dass man sie unbedingt bei seinem Kind anbringen möchte, kommen mitunter relativ seltsame Konstruktionen dabei raus, die vom Stil her oft auch so gar nicht zum Nachnamen passen. Nun ja. Ich finde es ziemlich bedenklich, dass sich manche Eltern nur danach richten, welchen Namen sie denn "schön" finden, statt auch mal die Bedeutung des Namens nachzugucken. Man kann sein Kind damit auch (zugegeben ungewollt) fürs Leben strafen. Bei manchen Namen erübrigt sich das mit dem Nachgucken ja auch tatsächlich: Wer sein Kind "Luke Aragorn" nennt, da sind die Präferenzen der Eltern klar. 

Um ins 19. Jahrhundert zurück zu springen: Warum kamen Eltern in die Situation, dass sie nicht wussten, wie ihr Kind heißen sollte, selbst, nachdem sie es schon im Arm gehabt haben? Standen die Paten noch nicht fest? Und falls nicht, war das entscheidend? Schließlich war das die Zeit, als man ein wenig freier mit der Namenswahl wurde, wenn der richtige "Boom" der individuellen Namen hier in OWL auch erst ein paar Jahrzehnte später erfolgte. War der Name vielleicht einfach nicht so wichtig, weil ja sowieso irgendwie alle ähnlich hießen? Oder war man eventuell auch ein kleines bisschen abergläubisch, dass es ein schlechtes Omen sein könnte, sich festzulegen, bevor überhaupt feststand, dass das Kind die Geburt auch überlebt? 

Ich weiß es nicht. 

Auch wenn ich keine Kinder habe, für mich könnte ich mir keinen dieser Gründe vorstellen. Ich kann es aber nachvollziehen, wenn man sich schwer tut, einen Namen zu finden, mit dem das Kind auch sein ganzes Leben lang glücklich (oder zumindest nicht unglücklich) sein wird. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an meine Eltern; mit "Angela" kann ich ziemlich gut leben, auch wenn ich oft genug erklären muss, dass die Betonung auf der ersten Silbe liegt und ich kein langes e habe. 

Und falls sich jemand fragt, was denn so meine Favoriten sind: Für Mädchen finde ich Adela ganz schön (nach der jüngsten Tochter in "Bernarda Albas Haus von Federico García Lorca) oder Livia (weil James Joyce den Fluss Liffey, der durch Dublin fließt, "Anna Livia Plurabelle" genannt hat). Oder Ella nach Großtante Lisbeth, Ella Fitzgerald oder meinetwegen auch der Queen. Für Jungs finde ich es ungleich schwerer. Jasper finde ich nicht schlecht, auch wenn ich nicht genau sagen kann, warum - ist übrigens eine Abwandlung von Caspar und bedeutet "der Schatzmeister". Wäre doch prädestiniert für einen Buchhalter... ;-) 

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